Führungskräftemangel: 5 Strategien für Recruiter und Unternehmen

Die Besetzung von Führungspositionen stellt deutsche Unternehmen vor immer größere Herausforderungen. Kein Wunder, wenn die Generation der Babyboomer allmählich in Rente geht und die weniger geburtenstarken Folgegenerationen diese Lücke nicht schließen können. Laut Mittelstandsbarometer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) haben 80 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu finden. Und wo Fachpersonal fehlt, lassen sich auch Führungspositionen schwieriger besetzen.

Doch woran liegt es eigentlich, dass sich niemand mehr um Spitzenpositionen reißt? Wo fehlen die meisten Führungskräfte? Und welche Maßnahmen helfen dabei, den Mangel zu reduzieren? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten gemacht.

Warum sprechen wir derzeit von einem Führungskräftemangel?

Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei der Besetzung von Führungspositionen macht sich durch eine längere Vakanzzeit und damit einhergehend einer höheren Cost-of-Vacancy bemerkbar. Gibt es für ausgeschriebene Stellen mit Führungsverantwortung nicht genügend geeignete Bewerber:innen, spricht man von einem Engpass. Hält dieser Zustand länger an, ist von einem Mangel die Rede. Berechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung zufolge fehlt in rund 190.000 Unternehmen eine Person, die die Nachfolge in der Geschäftsführung übernimmt – und das allein innerhalb der nächsten zwei Jahre.

Mitarbeiter:innen zu leiten, ist bekanntermaßen keine leichte Aufgabe. Hinzu kommt, dass die Erwartungen an Führungskräfte gestiegen sind: Neben den fachlichen Fähigkeiten sind mittlerweile eher Soft Skills wie Empathie, Kommunikationsfähigkeit und Kritikfähigkeit gefragt.

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Ursachen des Führungskräftemangels

Eine Führungsposition galt für viele Angestellte als ein erstrebenswerter Schritt auf der Karriereleiter. Doch heute fehlen sie in einigen Unternehmen – Tendenz steigend. Woher kommt dieser Trend?

Die Gründe für den vorherrschenden Führungskräftemangel sind vielfältig. Fangen wir mit dem offensichtlichsten an: dem demografischen Wandel. „Bis 2040 werden etwa 8,7 Millionen Arbeitskräfte mehr den Arbeitsmarkt verlassen, als in diesen eintreten. Es folgen somit schlicht nicht genügend junge Menschen auf die Anzahl der Beschäftigten, die in Rente gehen“, sagte Detlef Scheele, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, gegenüber der Wirtschaftswoche. Es fehlt also an Mitarbeiter:innen und Fachkräften, die die scheidenden Führungskräfte ersetzen könnten.

Hinzu kommt, dass viele Beschäftigte daran zweifeln, ob eine Führungsposition überhaupt erstrebenswert ist. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die Bereitschaft zur Übernahme von Führungsverantwortung abnimmt. Besonders den zeitlichen Konflikt zwischen Karriere und Familie nehmen die Befragten als Hindernis wahr. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie von The Network und der Boston Consulting Group, an der rund 90.000 Arbeitnehmer:innen aus 180 Nationen teilgenommen haben. Auf die Frage nach dem idealen Karriereweg gaben zwei Drittel an, sich einen sicheren Job zu wünschen, der genügend Zeit für Familie, Freunde und Freizeit lässt. Eine Führungsposition wollten hingegen nur 31 Prozent übernehmen.

Interessen von Arbeitnehmern
Grafik: BCG/The Network

Bei den Jüngeren fällt das Urteil noch drastischer aus: Führungsverantwortung übernehmen, bis zum Geschäftsführer aufsteigen oder ein eigenes Unternehmen gründen? 87 Prozent der 20- bis 34-jährigen Deutschen verzichten darauf gerne, besagt eine Studie der ManpowerGroup, für die weltweit 19.000 Berufstätige befragt wurden. Lediglich in Norwegen und Japan ist die Bereitschaft noch geringer. Anreize wie Geld und Status sind der Generation Y nicht so wichtig wie eine gute Work-Life-Balance. Diese Ergebnisse zeigen klar, dass sich die deutsche Wirtschaft zusätzlich zum Fachkräftemangel künftig auch gegen einen Führungskräftemangel wappnen muss.

Eine andere Ursache sind die gestiegenen Anforderungen. Neben den operativen und strategischen Aufgaben, die auf Positionen mit Leitungsverantwortung anfallen, wird heute ebenfalls ein mitarbeiterorientierter Führungsstil erwartet. Die Befürchtung, die unterschiedlichen Interessen von Arbeitgeber und Mitarbeiter:innen nicht ausgleichen zu können, hält selbst geeignete Kandidaten davon ab, sich für eine Führungsposition zu bewerben, fand die IW-Studie heraus. Das hohe Anforderungsniveau macht sich auch in der Belastung bemerkbar und könnte einer der Gründe sein, warum Führungskräfte kündigen. In einer aktuellen Studie der Beratungsagentur Auctority gaben zwei von drei Beschäftigten in den Chefetagen an, erschöpft zu sein. Besonders stark zeigte sich der Zustand in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen sowie bei den weiblichen Führungskräften.

Hier fehlen die meisten Führungskräfte

Dass Führungskräfte in Deutschland händeringend gesucht werden, zeigt auch der Job-Navigator des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister e.V. (BAP). Anfang 2022 waren mehr als 1,7 Millionen offene Stellen ausgeschrieben – etwa zehn Prozent davon richteten sich an Führungskräfte. Mehr als 100.000 Jobs, und damit der größte Anteil, waren an Projektleiter:innen zu vergeben, die neben der Teamführung für die operative Steuerung von Projekten verantwortlich sind. Auf der Ebene der Abteilungsleiter:innen waren 64.000 Stellen ausgeschrieben, bei den Bereichsleiter:innen fehlten knapp 10.000. Auf der obersten Hierarchieebene der Vorstände und Geschäftsführer:innen verzeichnete die Auswertung rund 5.600 Vakanzen.

Obwohl die Arbeitslosenzahl deutlich über denen der offenen Stellen liegt, fehlt es Bewerber:innen häufig an den nötigen Qualifikationen. Dieses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führt zu Rekrutierungsschwierigkeiten. Die Folgen: Unternehmen müssen sich auf längere Vakanzzeiten sowie einer höheren Cost-of-Vacancy einstellen.

Regionale Unterschiede

Doch wo fehlen die meisten Führungskräfte? Mit knapp 20 Prozent der ausgeschriebenen Positionen sucht Berlin die meisten leitenden Fachkräfte und Vorstände. Hamburg folgt mit 17,7 Prozent. Hessen (14,4 Prozent), Bremen (13,3 Prozent) und Baden-Württemberg (12,4 Prozent) haben einen moderaten Führungskräftebedarf. Im Osten Deutschlands sind hingegen deutlich weniger Stellen in den oberen Hierarchieebenen vakant: In Thüringen machen diese Stellen 8,8 Prozent der Gesuche aus, in Sachsen-Anhalt 8,3 Prozent.

Diese Branchen haben den größten Bedarf

Die meisten Stellen für Führungskräfte waren laut Job-Navigator im Bereich der IT und Kommunikationstechnik ausgeschrieben, knapp 20 Prozent entfielen auf diese Branche. Im Gastgewerbe richtete sich fast jede fünfte Position an eine Führungskraft. Mit mehr als 17 Prozent der Stellen für Leitungspositionen folgen die freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen sowie Energieversorger. Auch die Finanz- und Versicherungswirtschaft, die öffentliche Verwaltung und die Branche Erziehung und Unterricht hatten 2022 einen hohen Führungskräftebedarf.

Prognose: So entwickelt sich der Führungskräftemangel

Offene Leitungspositionen mit langen Vakanzzeiten dürften in Zukunft zum normalen Bild gehören. Denn ein Drittel der Führungskräfte ist über 55 Jahre alt – und steht dem Arbeitsmarkt damit bald nicht mehr zur Verfügung. Da sich nur 13 Prozent der jüngeren Mitarbeiter:innen vorstellen können, selbst Führungskraft zu sein, wie die bereits vorgestellte Studie der ManpowerGroup zeigt, könnte sich die Lücke an der Spitze deutlich vergrößern.

Altersverteilung bei Führungskräften in Deutschland

Einen Sonderfall stellt der öffentliche Dienst dar: Hier geht jeder Dritte in den nächsten zwölf Jahren in Rente, etwa 730.000 Beschäftigte werden fehlen. Mehr als die Hälfte dieser Stellen betrifft die mittlere Führungsebene, fand eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey heraus. „Es werden gerade diejenigen Beschäftigten fehlen, die Personaleinsätze koordinieren und notwendige Arbeitsabläufe steuern, um Aufgaben in einem Projekt oder in Linienverantwortung erfolgreich abzuschließen“, macht Studien-Co-Autorin Julia Klier deutlich.

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5 Ansätze, um den Führungskräftemangel zu lösen

Für Unternehmen wird es also immer wichtiger, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, um die besten Talente zu gewinnen und zu halten. „Die Bewältigung des Fachkräftemangels erfordert eine langfristige Strategie, die auf eine bessere Ausbildung, die Förderung von Berufseinsteiger:innen sowie die Ansprache neuer Zielgruppen und eine höhere Arbeitsattraktivität setzt“, resümiert Erich Lehner von Ernst & Young. Unternehmen stehen ebenso vor der Herausforderung, interne wie externe Talente für Führungspositionen zu begeistern. Wir stellen fünf vielversprechende Maßnahmen vor.

Auf interne Lösungen setzen

Die Besetzung von Führungspositionen hat für Unternehmen eine besonders hohe Priorität, denn Mitarbeiter:innen mit Leitungsfunktion tragen maßgeblich zum Erfolg bei. Und wer wüsste das wohl besser als die eigene Belegschaft? Deshalb müssen Arbeitgeber intern Aufstiegschancen ermöglichen und Entwicklungsmöglichkeiten anbieten. Oder anders gesagt: Sie müssen Führungskräfte entwickeln. Ein starkes Talent Management mit Aus- und Weiterbildungsangeboten legt dafür den Grundstein. In Absprache mit Führungskräften und dem Management wird herausgearbeitet, welche Kompetenzen für die Position von Interesse sind. Anhand dieser erstellt der oder die Talentmanager:in ein Entwicklungsprogramm, nach dem die Talente geschult werden, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Wer in Zukunft eine erfolgreiche Führung haben will, muss jetzt handeln und Maßnahmen ergreifen, die Talente langfristig an das Unternehmen binden.

Frauen in Führungspositionen fördern

Obwohl fast die Hälfte aller Beschäftigten weiblich ist, sind Frauen deutlich seltener in Aufsichts- und Führungspositionen vertreten. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes von 2022 war nur knapp jede dritte Führungskraft in Deutschland weiblich. Studien zeigen, dass es zwar Fortschritte gibt, aber noch viel zu tun ist. Die Allbright Stiftung prognostiziert, dass es mit dem aktuellen Veränderungstempo noch 26 Jahre dauern würde, bis der Frauenanteil in den Vorständen der DAX, MDAX und SDAX Unternehmen 50 Prozent beträgt.

Branchen, in denen Frauen führen

Der zeitliche Konflikt zwischen Karriere und Familie verhindert heute immer noch, dass besonders Frauen, die den Großteil der unentgeltlichen Sorgearbeit leisten, eine Führungsposition übernehmen. Umso wichtiger ist es, flexible Arbeitsmodelle zu fördern und Angebote wie Kooperationen mit Kindertagesstätten oder Betriebskindergärten anzubieten, um Bewerber:innen zu gewinnen. Nur so kann die Vereinbarkeit von Karriere und Familie verbessert und der Frauenanteil unter den Führungskräften erhöht werden.

Jobsharing und Führung in Teilzeit

Führung in Teilzeit oder als Duo? Die Last der Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, ist derzeit noch die Ausnahme. Laut IW-Studie arbeiten nur rund 13 Prozent der Beschäftigten mit Personalverantwortung in Teilzeit, wobei der Großteil mit 73 Prozent weiblich ist. Jobsharing kann Führungspositionen attraktiver machen, erfordert jedoch auch mehr unternehmerische Verantwortung vom gesamten Team. Besonders hoch ist der Anteil dieser Modelle mit etwa 30 Prozent im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung vertreten. Besonders selten kommt er in der Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung sowie bei Bau, Architektur, Vermessung und Gebäudetechnik vor. Oder anders gesagt: Teilzeit-Führung findet sich besonders häufig in den Bereichen, in denen überwiegend Frauen arbeiten.

27,7 Prozent der weiblichen Führungskräfte arbeiten bereits in Teilzeit, aber nur 4,9 Prozent der männlichen. Unterschiede zeigen sich auch bei den Gründen: Für knapp die Hälfte der weiblichen Teilzeitführungskräfte sind familiäre Verpflichtungen entscheidend, für die Männer nur 17,9 Prozent. Das liegt primär an der ungleichen Verteilung der Care-Arbeit. Ein Ziel muss es also sein, Führung in Teilzeit weiter zu etablieren und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern.

Mit einem gleichberechtigten Tandem zweier Führungskräfte, der sogenannte Co-Leadership, wären 48,5 Prozent der Betroffenen einverstanden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der Beratungsagentur Auctority, die Anfang 2024 veröffentlicht wurde. 27,1 Prozent lehnen das Konzept der geteilten Führung hingegen vollständig ab.

Bereitschaft, Führung zu teilen

Hierarchien hinterfragen

Der Engpass, in dem sich viele Unternehmen bei der Suche nach Führungskräften derzeit befinden, muss nicht unbedingt schlecht sein. Vielmehr kann die Situation die Chance eröffnen, veraltete Strukturen zu hinterfragen und an die sich wandelnden Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen anzupassen. Eine Möglichkeit könnte die Abwendung von hierarchischer Führung hin zu Arbeitsweisen mit mehr Verantwortung für die einzelnen Mitarbeitenden sein. Wenn Unternehmen ihre Aufgaben und Projekte stärker in agilen (Projekt-)Teams organisieren, verliert der klassische Top-Down-Ansatz an Bedeutung. Dabei wird die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt und jede:r hat den Hut für einen Teilbereich oder Schwerpunkt auf. Auf diese Weise wird nicht nur die Überlastung einzelner Personen verhindert, sondern das Team bekommt die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und selbstbestimmter zu arbeiten.

Laut Auctority-Studie wären 50,6 Prozent der Führungspersonen bereit, einen Teil der Aufgaben an ihr Team zu übertragen. Bei der sogenannten Collective Leadership delegieren Führungskräfte einzelne Aufgaben ans Team oder ermächtigen Mitarbeiter:innen, situativ die Führung zu übernehmen. Wesentlich skeptischer stehen die Führungskräfte der Selbstorganisation im Team gegenüber, bei der die Teammitglieder die Führungsrollen völlig eigenständig organisieren, was ein hohes Maß an Eigenverantwortung erfordert. Nur für 22,4 Prozent der Befragten wäre das Modell vorstellbar.

Aktiv suchen, statt gefunden werden

„Die Unternehmen müssen ihre Personalgewinnung auf die Perspektive der Talente abstimmen“, weiß Jens Baier, Co-Autor der Boston Consulting Group-Studie. „Sie müssen die spezifischen Präferenzen der Arbeitnehmer:innen verstehen, ihr Wertversprechen anpassen und ihre Recruiting-Prozesse umstellen.“ Gerade in Engpassberufen ist eine überregionale und aktive Rekrutierungsstrategie unabdingbar. Die Online-Personalsuche bietet hierfür die besten Möglichkeiten, da sich schnell eine hohe Reichweite in der anvisierten Zielgruppe aufbauen lässt.

Die Suche im Internet bietet außerdem den Vorteil des Targeting, wodurch Wunsch-Bewerber:innen zielgenau angesprochen werden können. Auf diesem Wege können zum Beispiel auch passiv Jobsuchende, die sich noch in einer Anstellung befinden, auf das eigene Stellenangebot aufmerksam gemacht und abgeworben werden. Eine weitere Maßnahme ist Active Sourcing: Recruiter:innen können in Karrierenetzwerken, Datenbanken und Social Media auf die Suche nach potenziellen Kandidat:innen gehen, sie ansprechen und versuchen, sie von der Stelle zu überzeugen. Gerade bei der Besetzung von Führungspositionen, für die nur wenige qualifizierte Bewerbungen eintreffen, bietet das Active Sourcing eine echte Möglichkeit, um Vakanzen schnell und effektiv zu besetzen.