Pensionierungswelle: Zeit zum Umdenken!

Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst: Höchste Zeit zum Umdenken!

Der öffentliche Dienst in Deutschland steht vor einer harten Bewährungsprobe. Eine anstehende Pensionierungswelle bedroht die Leistungsfähigkeit zentraler Bereiche wie Justiz, Bildung und Verwaltung. Ähnlich wie die Gesamtwirtschaft, die auf dem Höhepunkt der Pandemie unter Betriebsschließungen und Kurzarbeit litt und nun händeringend nach Arbeitskräften sucht, steht auch der öffentliche Sektor vor dem Rätsel, wie er die in den kommenden Jahren anstehenden Pensionierungswellen und Fachkräfteengpässe bewältigen soll.

Der intensive Wettbewerb um die besten Köpfe mit der Privatwirtschaft und nicht mehr zeitgemäße Arbeitsbedingungen machen deutlich, dass um- und weitsichtiges Handeln gefragt ist. Die Frage ist nicht nur, wie die Pensionierungswelle kurzfristig bewältigt, sondern wie dem Arbeitskräftemangel auf allen Ebenen entgegengewirkt werden kann, der durch zugrundeliegende demografische und gesellschaftliche Veränderungen beschleunigt wird.

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Status Quo: Harte Zahlen zur Pensionierungswelle

Im Bereich der Justiz zeichnet sich bereits jetzt ein dramatisches Bild ab: Ab 2025 wird innerhalb von nur sieben Jahren etwa die Hälfte aller Richter:innen und Staatsanwält:innen in den Ruhestand gehen. Das stellt die Justiz vor große Herausforderungen, da gleichzeitig die Zahl des juristischen Nachwuchses sinkt. In Berlin müssen 39 Prozent der Rechtswissenschaftler:innen bis 2033 ersetzt werden, in Brandenburg wird ein ähnlich drastischer Rückgang prognostiziert: bis 2032 werden 453 von 1081 Jurist:innen, darunter 343 Richter:innen, die Justiz verlassen.

Doch nicht nur die Justiz ist betroffen. Im gesamten öffentlichen Dienst in Deutschland wird in den kommenden Jahren fast die Hälfte der 135.000 Bundesbeamten in den Ruhestand gehen. Ähnlich prekär ist die Situation bei den Ländern und Kommunen, wo in absehbarer Zeit knapp 230.000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen werden. Insbesondere das Lehrpersonal, mit fast 70.000 Vollzeitstellen eine der größten Gruppen im öffentlichen Dienst, steht vor einem massiven Umbruch. In der Vergangenheit fehlte es oft an strategischem Denken, um dieser Herausforderung zu begegnen.

Ursachen für den Personalmangel im öffentlichen Dienst

Demografischer Wandel

Der öffentliche Sektor ist von allgemeinen demografischen Entwicklungen in der Bevölkerung stark betroffen. So liegt etwa das Durchschnittsalter bei 45 Jahren. Verschärft wird die Situation durch den Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt, der dazu führt, dass viele ältere Arbeitnehmer:innen in den Ruhestand gehen, während gleichzeitig immer weniger junge Menschen nachrücken. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern ist dieser Effekt noch größer, da viele junge Arbeitnehmer:innen der Baby Boomer Generation, die nach der Wiedervereinigung 1990 in den Dienst eingetreten sind, nun das Pensionsalter erreichen.

altersstruktur im öffentlichen dienst
Ein Blick auf die Altersverteilung im öffentlichen Sektor zeigt: Ein großer Teil der Belegschaft befindet sich im letzten Abschnitt ihrer beruflichen Karriere.

Mangelhafte Modernisierung

Eine zentrale Rolle bei der Bewältigung des Personalmangels spielt die Attraktivität der Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst. In der Justiz beispielsweise ist die Arbeitsbelastung trotz der Hoffnung auf Entlastung durch kurzfristige Neueinstellungen in vielen Bereichen nach wie vor hoch. Die hohe Zahl unerledigter Verfahren und eine allgemeine Überlastung unterstreichen die Dringlichkeit, gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Auch wenig familienfreundliche Arbeitszeiten und ein stressiger Arbeitsalltag mindern die Attraktivität des Sektors. Ein Problem, das durch die anstehenden Pensionierungen noch verschärft wird.

Langwierige Ausschreibungsverfahren

Stellen im öffentlichen Dienst müssen oft erst wochenlang ausgeschrieben sein, bevor erste Vorstellungsgespräche stattfinden können. Dies führt zu erheblichen Verzögerungen im Recruiting Prozess, die sich der Sektor nicht leisten kann. In der Zwischenzeit suchen talentierte Bewerber nämlich weiter nach Jobmöglichkeiten – ganz zur Freude von Unternehmen in der Privatwirtschaft, mit oftmals deutlich schnelleren Prozessen.

Überholte Methoden

Stellenausschreibungen im PDF-Format und die fehlende mobile Optimierung der Karriereseite machen es für potenzielle Bewerber, insbesondere für die jüngere Generation, wenig attraktiv, sich für eine Stelle im öffentlichen Dienst zu bewerben. Die Tatsache, dass traditionelle Werbemittel wie Zeitungsanzeigen nach wie vor an der Tagesordnung sind, unterstreicht den veralteten Ansatz, der hier gefahren wird. Oftmals zählt die Nutzung klassischer Jobbörsen noch als eine der fortschrittlicheren Maßnahmen, was zeigt, wie weit der öffentliche Dienst dem modernen Personalmarketing hinterherhinkt.

Der Kampf um die besten Nachwuchskräfte hat begonnen

…und der öffentliche Sektor sieht derzeit nicht gut aus. Der Generationswechsel im öffentlichen Dienst fällt in eine Zeit, wo der Staat im Wettbewerb mit besser zahlenden Unternehmen in der privaten Wirtschaft steht. Viele gut ausgebildete Absolventen bevorzugen Positionen in der Wirtschaft, die oft ein deutlich attraktiveres Einstiegsgehalt und höhere Spitzengehälter bieten. Hat es bisher gereicht, als Arbeitgeber einen krisenfesten Arbeitsplatz zu bieten, so deckt man damit mittlerweile lediglich die Basics ab.

Maßnahmen gegen die Pensionierungswelle: Was hilft wirklich?

Die Situation ist herausfordernd, aber nicht aussichtslos für den öffentlichen Dienst. Um die anstehende Pensionierungswelle zu bewältigen, braucht es jedoch ein umfassendes Maßnahmenpaket, das sowohl auf unmittelbare Entlastungen als auch auf nachhaltige Veränderungen abzielt.

Transparente Gehaltsstruktur

Ein wesentlicher Ansatzpunkt ist die Anpassung der Besoldungsstrukturen, wie z.B. in Hessen, wo durch den Wegfall von zwei Erfahrungsstufen die Eingangsbesoldung für Richter:innen und Staatsanwält:innen deutlich angehoben wurde. Dies unterstreicht die Bedeutung eines konkurrenzfähigen Gehalts, um im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft bestehen zu können. Auch Gehaltstransparenz sollte in Zukunft eine größere Rolle spielen. Stellenanzeigen mit Angaben wie “Entgeltgruppe 9b TVöD” wirken abschreckend und undurchsichtig auf Quereinsteiger:innen.

Flexiblere Arbeitszeitmodelle

Pensionierungswelle: Wachstum Voll- und Teilzeit im öffentlichen Dienst

Es zeichnet sich ein klarer Trend ab: Immer mehr Beschäftigte bevorzugen das Teilzeitmodell und der Sektor wächst. Diese Entwicklung birgt sowohl Herausforderungen als auch große Chancen. Einerseits verschärft die wachsende Zahl von Beschäftigten das Personalproblem, da neben dem Ersatz ausscheidender Beschäftigter zusätzliche Stellen geschaffen und besetzt werden müssen. Andererseits eröffnet eine wachsende Anzahl an Teilzeitkräften die Möglichkeit, bestehenden Engpässen kurzfristig entgegenzuwirken – vorausgesetzt, es werden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen. Dazu gehört, dass es Teilzeitbeschäftigten möglich sein muss, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten.

Was heißt das konkret? Es geht darum, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das eine gesunde Balance zwischen Berufs- und Privatleben ermöglicht. Flexiblere Arbeitszeiten, die Möglichkeit von Homeoffice, Zuschüsse zur Kinderbetreuung – all dies sind Maßnahmen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Teilzeitmitarbeitende ihre Arbeitsstunden im Laufe ihrer Zeit bei einem Arbeitgeber aufstocken.

Programme zur Förderung von Talenten

Programme wie Mentoring-Programme für Berufsanfänger, die Einführung einer Justizassistenz oder die sogenannte Assessorbrücke sollten in der Vergangenheit den Einstieg in die Justiz erleichtern und die berufliche Entwicklung unterstützen. Initiativen wie diese sollten dem gesamten Sektor als Vorbild dienen. Denn: Die Möglichkeit, frühzeitig Verantwortung zu übernehmen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, erhöht die Attraktivität des öffentlichen Dienstes für ambitionierte Talente.

Digitalisierung vorantreiben

Die Digitalisierung bietet weitreichende Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Entlastung des vorhandenen Personals. Der Einsatz künstlicher Intelligenz und die Digitalisierung von Routinetätigkeiten können dazu beitragen, die Arbeitsbelastung zu reduzieren und sich auf anspruchsvollere und erfüllendere Tätigkeiten zu konzentrieren.

Aufgrund der schleppenden Digitalisierung hat sich das Faxgerät in den letzten Jahren als Symbol für die veraltete Technik im öffentlichen Sektor etabliert. Klar ist: Um mit modernen Arbeitgebern Schritt zu halten, muss das Faxgerät schleunigst aus den Büros (und den Köpfen) verschwinden und New Work-Konzepte ernsthaft in Angriff genommen werden.

Wissensvermittlung

Fast ein Drittel der Angestellten im öffentlichen Dienst wird in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Sie hinterlassen nicht nur leere Stühle, sondern auch einen großen Schatz an Wissen und Erfahrung. Vor Arbeitgebern im öffentlichen Sektor liegt die spannende Aufgabe, diesen Schatz zu bewahren und an die nächste Generation weiterzugeben.

Es müssen in den kommenden Jahren Brücken gebaut werden – von den erfahrenen Kolleg:innen zu den jungen Talenten, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Dazu braucht es Strukturen, die es den Mitarbeiter:innen ermöglichen, ihr Wissen sorgfältig zu dokumentieren. Und zwar nicht überstürzt, sondern mit der richtigen Planung und ausreichend zeitlichem Vorlauf.

Umdenken in der Kandidat:innen-Ansprache

In Zukunft wird es nicht mehr ausreichen, nur junge Talente oder verfügbare Arbeitskräfte zu gewinnen. Da durch den demografischen Wandel die Anzahl an jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren schrumpfen (und immer stärker umworben sein!) wird, müssen die Personalabteilungen strategisch vorgehen, um wechselwillige Fachkräfte anzusprechen. Neue Zielgruppen, wie beispielsweise Frauen in Elternzeit, die eine berufliche Veränderung anstreben, sollten erschlossen und gezielt von ihrem aktuellen Arbeitgeber abgeworben werden.

Personalbeschaffung modernisieren

Leichter gesagt als getan, aber unumgänglich, wenn der öffentliche Dienst wettbewerbsfähig bleiben will. Dies erfordert erstens das Überdenken und Ersetzen veralteter Recruiting-Strukturen, die den dynamischen Anforderungen der heutigen digital vernetzten Welt nicht mehr gerecht werden. Zweitens muss eine starke, werteorientierte Arbeitgebermarke geschaffen werden, um sowohl neue Talente anzuziehen als auch die Bindung der bestehenden Fachkräfte zu stärken. Drittens ist für viele Arbeitgeber im öffentlichen Sektor ein Relaunch der internen Karriereseite notwendig, um eine nutzerfreundliche erste Anlaufstelle für potenzielle Bewerber:innen zu bieten.

Auch die Politik ist gefragt

Vergangene regionale Initiativen zeigen, dass Geld die Welt noch immer regiert und gezielte Investitionen ein wirksames Mittel sind, um neue Stellen zu schaffen. Doch auch diese Strategie hat ihre Grenzen. Zukünftig kommt der öffentliche Sektor nicht um eine strategische und langfristig orientierte Personalplanung, die über Ad-hoc-Einstellungen hinausgeht, herum.

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Fazit: Gutes Public Sector Recruiting muss langfristig denken

Der öffentliche Dienst ist das Rückgrat unserer Gesellschaft – seine Zukunftsfähigkeit zu sichern ist eine zentrale Aufgabe. Entscheidend ist die Entwicklung eines umfassenden Maßnahmenpakets, das sowohl kurzfristige Entlastungen als auch langfristige strukturelle Anpassungen umfasst.

Von der Neugestaltung der Gehaltsstrukturen über flexible Arbeitszeitmodelle bis hin zu Digitalisierung und strategischer Personalplanung – all diese Maßnahmen sind notwendig, um den öffentlichen Dienst attraktiv und leistungsfähig zu halten. Ob und wie Deutschland diese Herausforderung meistern kann, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Jetzt gilt es, entschlossen zu handeln und die Weichen für eine widerstandsfähige öffentliche Verwaltung zu stellen, die jeglichen Personalengpässen trotzt und für den War for Talents gerüstet ist.