Immer mehr Firmen schreiben sich das Thema „Diversity“ auf die Fahnen, um mehr Vielfalt in ihr Unternehmen zu bringen. Aber was bedeutet eigentlich Diversity im Arbeitskontext und wie lässt sich Diversity Recruiting umsetzen und mit dem Cultural fit vereinen?
Was ist Diversity Recruiting?
Auch 16 Jahre nach Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gibt es immer noch Defizite beim Umgang mit Vielfalt in Unternehmen. Diversity im Recruiting bedeutet vor allem, soziale Gerechtigkeit auch im Arbeitsalltag zu leben. Eine diverse Arbeitskultur beinhaltet nicht nur die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, sondern ebenso die unvoreingenommene Gleichbehandlung egal welchen Alters, welcher sexuellen Orientierung, Religion, Nationalität oder Behinderung.
Natürlich handelt es sich immer noch um leistungsorientiertes Recruiting, das darauf abzielt, die bestmöglichen Kandidat:innen zu finden. Sie sollte jedoch so strukturiert sein, dass alle Bewerber:innen die gleichen Chancen erhalten. Das bedeutet unter anderem, dass der Recruitingprozess weitestgehend frei von Unconscious bias, also unbewusster Voreingenommenheit, sein sollte. Bewusste sowie unbewusste Stereotype und Vorurteile dürfen nicht über die Auswahl geeigneter Kandidat:innen entscheiden. Dass das häufig nicht gut funktioniert, spüren viele Menschen am eigenen Leib. Auch verschiedene Studienergebnisse machen deutlich, dass Diversity oft schon im ersten Recruiting-Schritt scheitert.
Warum ist Diversity Recruiting im Unternehmen wichtig?
Wichtig ist Diversity Recruitment in erster Linie deswegen, weil kein Mensch aufgrund seines Hintergrunds diskriminiert werden und die Welt ein offener und toleranter Ort sein sollte. In einer Studie aus dem Jahr 2020 gibt fast ein Drittel der Arbeitssuchenden und Beschäftigten an, dass sie nicht bei einem Unternehmen arbeiten würden, in dem es an Vielfalt in der Belegschaft mangelt. Der Aufbau von Teams aus qualifizierten Bewerber:innen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung ist längst überfällig und ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung am Arbeitsplatz.
Abseits davon kann es Unternehmen auch dabei helfen, innovativer und kreativer zu werden. Man muss sich nicht einmal viele Statistiken ansehen, um zu verstehen, dass Vielfalt in der Belegschaft auch gedankliche Vielfalt mit sich bringt. Unterschiedliche Denkweisen können zu mehr Innovation führen. Ein weiterer wichtiger Punkt in Zeiten des Fachkräftemangels: Inklusion sichert Fachkräfte!
Cultural Fit vs. Diversity: Vereinbarkeit und Abgrenzung
Einige Personaler:innen sind besorgt, dass sich die Einstellung auf Grundlage des Cultural Fits negativ auf die Vielfalt innerhalb ihres Unternehmens auswirken könnte oder umgekehrt. Das Problem liegt hier aber eher im falschen Verständnis und der falschen Definition von „Cultural Fit“. Denn auch wenn Menschen dazu neigen, sich selbst ähnelnde Menschen einzustellen, bedeutet kulturelle Passung nicht, dass Bewerber:innen den Chefs oder Recruiter:innen auf irgendeine Art und Weise ähnlich sein sollten. In diesem Fall ließe „Cultural Fit“ viel Platz für Diskriminierung und Rassismus.
Auch ähnliche Interessen oder Hobbys spielen keine Rollen, genauso wenig müssen alle Mitarbeiter:innen gewillt sein, sich nach Feierabend noch auf ein Bier zu treffen. Das Konzept „Cultural Fit“ zielt viel mehr darauf ab, Menschen zu finden, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit im Unternehmen wohlfühlen werden. Und das aufgrund von persönlichen Werten, den eigenen Antrieben, Motivatoren und Ambitionen im Arbeitskontext. Diese Faktoren gehen über persönliche Merkmale wie die Herkunft, das Geschlecht, das Alter oder die sexuelle Orientierung hinaus und dürfen deswegen keinerlei Einfluss auf den Cultural fit haben. Wichtiger ist es, dass das Unternehmen Inklusion und Vielfalt im Arbeitsalltag lebt und sichtbar macht.
5 Tipps für mehr Inklusion im Bewerbungsprozess
1. Baue unbewusste Vorurteile ab
Die Psychologie hat bereits zahlreiche systematische Fehler in Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale in Recruiting-Prozessen aufgedeckt, die durch intuitive Einschätzungen auftreten: Während attraktive Menschen unbewusst überschätzt werden oder große, kräftige Bewerber:innen führungsstark wirken, werden Personen mit Akzent oder sichtbarem Übergewicht häufig als undiszipliniert oder fauler bewertet.
Im Laufe unseres Lebens sammeln wir Denkmuster, die unser Gehirn in verschiedenen Situationen anwendet – manchmal richtig, manchmal falsch. Entsprechende Erfahrungen verknüpfen wir mit Assoziationen, die unbewusst unsere Denkprozesse steuern und unser Verhalten beeinflussen. Folglich sind „Unconscious Bias“, also unbewusste, in die Kandidatenbewertung einfließende Vorurteile, im klassischen Bewerbungsverfahren eher die Regel als die Ausnahme. Von Unconscious Bias und unbewussten kognitiven Verzerrungen getäuscht, treffen Personaler:innen Entscheidungen, die objektiv betrachtet unfair und sogar diskriminierend und nicht zuletzt zum Nachteil des Unternehmens sein können.
Das Ähnlichkeits-Bias beschreibt außerdem das Phänomen, dass Menschen Menschen bevorzugen, die ihnen selbst ähnlich sind. Das führt zu Personalentscheidungen, die lediglich auf sozialen oder persönlichen Merkmalen basieren. Wie beim Cultural Fit erwähnt, dürfen diese Art der Kriterien keine Einstellungsgründe sein. Eine Möglichkeit, um Unconscious Biases im ersten Recruitingschritt zu vermeiden, ist das Ermöglichen einer digital gestützten und anonymen Bewerbung.
Um Vorurteile aufzulösen und in Zukunft zu vermeiden, sollte das eigene Verhalten und das der Mitarbeiter:innen reflektiert und hinterfragt werden:
Woher könnte dieses mögliche Vorurteil stammen?
Wo und wie habe ich gelernt, so zu reagieren?
Welche kulturellen Werte sind mit meiner Interpretation und Bewertung verbunden?
Inwieweit unterscheidet sich diese Person überhaupt von anderen Bewerber:innen und welche Werte sind mit meiner Interpretation und Bewertung verbunden?
Auf diese Art kannst du unbewussten Vorurteilen begegnen, dir ihrer klar werden und gegebenenfalls andere Schlüsse ziehen. Durch das Hinterfragen und den aufgebauten Erfahrungsschatz werden Unconscious Biases im besten Fall sukzessiv aufgelöst.
2. Prüfe Stellenausschreibungen und Web-Auftritt auf inkludierende Ansprache
Viele Menschen sind immer noch von inkludierender Sprache genervt und versuchen den Sinn zu widerlegen, indem sie beteuern, dass im generischen Maskulinum alle Personen eingeschlossen sind. Zahlreiche sprachwissenschaftliche und psychologische Studien zeigen, dass Frauen zwar häufig „mitgemeint“, jedoch selten „mitgedacht“ werden. Bis in die 1990er Jahre hinein waren Berufsbezeichnungen überwiegend maskulin und spiegelten die damalige Realität wider. Die Berufswelt ist mittlerweile zum Glück nicht mehr nur Männern vorbehalten!
Sprache prägt unsere Wahrnehmung und wir können mit einem sensibleren Sprachgebrauch dazu beitragen, diese veränderten gesellschaftlichen Strukturen auch abzubilden. Im Grunde ist es ganz einfach: Beim Gendern geht es um die Sichtbarkeit aller. Wer unsichtbar bleibt, bleibt oft unbedacht. Wenn du zeigen möchtest, dass in deinem Unternehmen alle Menschen willkommen sind, solltest du sie ansprechen. Wie du das machst, bleibt dir überlassen, solange du das AGG (Allgemeine Gleichstellungsgesetz) im Hinterkopf behältst.
Doch nicht nur Sprache, sondern auch das Bild- oder Videomaterial macht Diversität auf deiner Webseite sichtbar. Ein gutes Beispiel hierfür bietet Siemens. In seinen Stellenanzeigen kommuniziert das Unternehmen ganz klar, dass es Wert auf Chancengleichheit legt und sich über Bewerbungen von Menschen mit Behinderungen freuen. Ein Link führt direkt auf die Karriereseite mit dem Schwerpunkt „Inklusion“ und dem Slogan „Innovation kennt keine Barrieren“. Kolleg:innen mit verschiedenen Behinderungen erzählen über sich und ihre Arbeit bei Siemens und werden somit sichtbar.
Möchte man mehr Frauen für seine Positionen ansprechen, gibt es noch mehr Kniffe im Umgang mit der Sprache, als das geläufige und offensichtliche Gendern. Auch die gezielte Ausgestaltung und Formulierung der Stellenanzeige mit genderspezifischen Persönlichkeitseigenschaften beeinflusst die Bewerberreaktionen.
Studienergebnisse zeigen, dass sich Frauen von stereotypen “maskulinen” Eigenschaften weniger angesprochen fühlen, als von “femininen” oder “neutralen” Eigenschaften. Zu den maskulinen Eigenschaften in Stellenanzeigen zählten in der Studie zum Beispiel Durchsetzungsvermögen, Verhandlungsgeschick oder analytisches Denken.
Zu den femininen bzw. neutralen Eigenschaften zählten Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Teamfähigkeit und verständnisvoller Umgang mit anderen. Über diese Zuordnung an Eigenschaften lässt sich streiten, jedoch spiegelt sie für viele nach wie vor die Realität wider und wird den Geschlechtern zumindest zum Teil von kleinauf mit anerzogen.
Weibliche Probandinnen sahen sich als weniger geeignet für die ausgeschrieben Stellen, wenn diese Eigenschaften gefordert waren, während sich männliche Probanden (oh Wunder) grundsätzlich bei allen geforderten Eigenschaften als geeignet sehen. Daraus resultiert, dass Unternehmen die meisten Personen ansprechen können, wenn sie neutrale genderspezifische Eigenschaften in ihren Stellenausschreibungen fordern. Wer seine eigene Stellenanzeige mal auf genderspezifische Sprache untersuchen möchte, kann dafür den Decoder der Technischen Universität München nutzen: FührMINT Gender Decoder der TU München.
3. Baue eine inklusive Personalpolitik aus
Diversity Recruiting funktioniert nur unter Berücksichtigung von unterschiedlichen Hindernissen bei der Ausbildung, der Einstellung und der Weiterbeschäftigung von Menschen. Um Inklusion zu fördern, sollten Führungskräfte, Recruiter:innen und Hiring-Manager geschult werden, um unbewusste Vorurteile und Denkmuster abzulegen.
Je größer ein Unternehmen, desto wichtiger wird es außerdem, eine:n Inklusions-Beauftragte:n zu schulen, der oder die Ansprechpartner:in für Angestellte und Bewerber:innen ist. Die Deutsche Post DHL Group rief in Köln sogar eine eigene Inklusionsabteilung ins Leben, um Menschen mit Autismus zu beschäftigen. Mit einer kostenlosen Beratungshotline für Jugendliche mit Behinderungen und Social Media Kampagnen setzen sie bei der Nachwuchsförderung auf Diversity und Inklusion. Wer sich hier inspirieren möchte, sollte auf der Webseite „Inklusionspreis für die Wirtschaft“ vorbeischauen.
Fördernde Maßnahmen zur Gender Diversity haben laut Studienergebnissen außerdem eine positive Wirkung auf die wahrgenommene Arbeitgeberattraktivität. Unternehmen, die ein Engagement in Gender Diversity kommunizieren, signalisieren die hohe Bedeutung von Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit und sorgen für eine positivere Wahrnehmung bei ihren Bewerber:innen.
4. Schaffe barrierefreie Arbeitsbedingungen
Ein barrierefreies Arbeitsumfeld ist wichtig! Hierzu zählen nicht nur barrierefreie Zugänge im Büro, sondern ebenfalls eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und Ausstattung oder barrierefreie IT-Systeme und Bewerbungsmöglichkeiten. Die Möglichkeit zum Home-Office und flexible Arbeitszeiten sind übrigens auch bereits eine Hilfe: Denn so werden nicht nur Familien unterstützt, sondern auch Menschen mit physischen oder psychischen Einschränkungen, die ihre Tage besser planen und ihre Kräfte besser einteilen müssen. In unserem Blog erfahrt ihr zudem, wie ihr mit einer barrierefreien Karriereseite Talente mit Einschränkungen beim Bewerbungsprozess unterstützt.
5. Fördere religiösen Respekt
In Deutschland sind die christlichen Feiertage den meisten Arbeitgebern bekannt und viele sogar gesetzlich festgeschrieben. Wir arbeiten in Unternehmen aber mittlerweile immer internationaler und möchten auch in interkulturellen Teams oder bei weltweiten Geschäftskontakten niemanden ausschließen. Natürlich müssen nicht die Feiertage aller Weltreligionen auswendig gelernt werden, aber es ist wichtig, andersgläubigen Mitarbeiter:innen Urlaub an bestimmten Tagen zu ermöglichen. Bei Schichtplanungen könnten beispielsweise etwaige Feiertage für Muslim:innen, Jüdinnen und Juden und Buddhist:innen festgehalten werden, um diese besser zu berücksichtigen.
Diversity Recruiting für mehr Integration und Teamspirit
Akzeptanz, gegenseitiger Respekt und letztendlich die Förderung von Chancengleichheit stehen beim Diversity Recruitment im Vordergrund. Es sollte grundsätzlich ein Bewusstsein geschaffen werden, dass Vielfalt ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Unternehmens sein kann. Denn auch potenzielle Bewerber:innen legen immer mehr Wert auf die menschlichen Zwischentöne eines Unternehmens. Dabei darf Diversity nicht nur ein schickes Label sein, das sich Unternehmen selbst verpassen, um nach außen etwas darzustellen. Inklusion muss gelebt werden und Arbeitgeber sollten sich Gedanken darüber machen, wie sie Diversity in ihrem Recruiting verankern können. Blindbewertungen, Schulungen, integrative Vorstellungsgespräche und insgesamt eine offenere Kommunikation sind hierfür gute Anhaltspunkte.Inklusion und Toleranz sind die moralische Verantwortung einer Organisation und spiegeln die Wertschätzung gegenüber allen Mitartbeiter:innen wider.