Bei Gehaltstransparenz gilt: Andere Länder, andere Sitten. In Österreich etwa sind Unternehmen seit 2011 verpflichtet, in ihren Stellenanzeigen Angaben zur Mindestentlohnung zu machen. Arbeitgeber in Island müssen Männer und Frauen in gleicher Position gleich bezahlen und brauchen ab 25 Mitarbeiter:innen ein Zertifikat für ihr Gehaltssystem. Und in Schweden kann man direkt die Gehaltsinformationen jeder beliebigen Person beim Einwohnermeldeamt abfragen. Hierzulande wird dagegen über das Gehalt lieber geschwiegen.
Wollmilchsau-Datenerhebung: Wenige Stellenanzeigen enthalten konkrete Summen
Dementsprechend enthalten kaum Stellenanzeigen eine Gehaltsangabe, wie unsere Datenerhebung mit mehr als 250.000 Stellenanzeigen in der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt. Wir wollten wissen, wie viele Anzeigen eine konkrete Gehaltsangabe in Euro machen. Das Ergebnis: Über alle Branchen hinweg enthalten lediglich gut zwölf Prozent der Stellenanzeigen eine konkrete Gehaltshöhe.
Am größten ist der Anteil bei den Hilfstätigkeiten – insgesamt 21,3 Prozent der Stellenanzeigen enthalten entweder eine konkrete Tarif- oder Gehaltsangabe, klären Bewerbende also genau darüber auf, was sie finanziell erwartet. Daraus lässt sich schließen, dass Gehaltsangaben vor allem im Niedriglohnbereich gemacht werden. Insgesamt zeigen die Daten außerdem, dass bei Tarifbindung eher eine konkrete Angabe gemacht wird als bei Jobs ohne. In Branchen mit hohem Verdienst, etwa in Finanzen oder IT, sind die Zahlen hingegen sehr gering.
>>>Methodik und Datenerhebung<<<
Bewerbungsprozess: Wer sagt’s zuerst?
Häufig sollen Bewerbende ihre Vorstellungen nennen und Unternehmen gleichen diese mit ihren Möglichkeiten ab, anstatt andersherum. Im Grunde geht es darum, wer zuerst seine Deckung aufgibt und dabei möglicherweise „den Kürzeren zieht“, also nicht den besten Deal macht. Entweder besteht also für potenzielle Mitarbeiter:innen die Gefahr, sich unter Wert zu verkaufen oder Unternehmen hätten den Job auch günstiger besetzen können oder schrecken geeignete Kandidat:innen durch zu geringe Gehaltsangaben direkt ab.
Das kann für beide Seiten frustrierend sein. Denn Bewerber:innen machen sich die Mühe, ihre Unterlagen einzureichen und Unternehmen sichten, obwohl es möglicherweise allein an den Entgeltvorstellungen schon scheitert.
Geheimnis Gehalt
Doch die Geheimniskrämerei wird auch im Privaten fortgeführt: Fast jede:r Dritte spricht nicht mal mit Partner oder Partnerin über das Gehalt. Nur 40 Prozent teilen diese Informationen mit Freund:innen, wie eine Studie des Karrierenetzwerks Xing aus dem Jahr 2017 zeigt.
Über das Gehalt zu sprechen ist hierzulande also ein Tabu, das in Stellenanzeigen beginnt und sich bis in Familie und Freundeskreis fortsetzt.
Deutschland mit hohem Gender Pay Gap
Dabei sind vor allem die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen (Gender Pay Gap) in Deutschland so hoch wie in wenigen anderen europäischen Ländern, wie Daten von Eurostat zeigen.
Abhilfe schaffen soll das 2017 eingeführte Entgelttransparenzgesetz, ein erster (zaghafter) rechtlicher Schritt für mehr Transparenz in punkto Bezahlung. Es gibt Frauen die Möglichkeit das Durchschnittsgehalt ihrer männlichen Kollegen zu erfahren – aber nur in Unternehmen ab 200 Mitarbeitenden und eben auch nur in der genannten Konstellation. Es kann also nicht jede:r das Gehalt von jede:m erfahren.
Anders wurde das Thema Gehaltstransparenz in Dänemark angegangen. 2006 führte das Nachbarland den Equal Pay Act ein. Ein Gesetz, das für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen soll. Es besagt, dass Unternehmen ab 35 Beschäftigten geschlechtsbezogene Statistiken über die gezahlten Gehälter in ihrer Firma führen und den Beschäftigten zugänglich machen müssen.
Eine Studie rund um Forscher:innen der Universität Kopenhagen hat die Auswirkungen des Gesetzes untersucht – mit positivem Ergebnis. So verringerte sich die Entgeltlücke in Dänemark zwischen 2003 und 2008 durch die eingeführte Transparenz um sieben Prozent. Allerdings: Auch im Jahr 2019 lag der Gender Pay Gap in Dänemark bei noch 14 Prozent, also etwa im europäischen Durchschnitt, wie die Grafik weiter oben zeigt.
Das heißt, der bereinigte Gender-Pay-Gap konnte verringert werden, der unbereinigte, der zum Beispiel dadurch entsteht, dass „typische Frauenberufe“ generell schlechter bezahlt werden oder Frauen häufiger in niedrigeren Positionen tätig sind, bleibt trotz Gehaltstransparenz bestehen.
Unternehmen punkten mit Transparenz
Für Unternehmen können sich transparente Gehälter lohnen, sie punkten bei Jobsuchenden: Umfragen, wie etwa die folgende der Jobsuchmaschine Adzuna, zeigen, dass Beschäftigte Gehaltstransparenz befürworten, vor allem, wenn diese als Verhandlungsgrundlage in Stellenanzeigen steht.
Der Nachteil für Arbeitgeber: Potenzielle Bewerber:innen schicken ihre Unterlagen erst gar nicht ab, wenn die Höhe nicht stimmt. Der Nachteil für Arbeitnehmer:innen: Beschäftigte auf sehr gut bezahlten Positionen können möglicherweise für sich nicht das Optimum herausholen, weil die Summe öffentlich gemacht wird.
Pro Gehaltstransparenz: Fairness und Entwicklung
Für eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum im Jahr 2020 wurden 140 Unternehmen zum Thema Gehaltstransparenz befragt, die keinem Tarifvertrag unterliegen oder Positionen ohne Tarifvertrag besetzen, aber ein hohes Maß an Transparenz aufweisen. Die Gründe für die Einführung der Transparenz sind deutlich: Mit Abstand am ausschlaggebendsten ist die Motivation der Mitarbeitenden, die durch die Klarheit bei den Entwicklungsmöglichkeiten gefördert wird. Außerdem bewerten die Befragten die Transparenz im Bewerbungsverfahren und bei Mitarbeitergesprächen als nützlich.
Kontra Gehaltstransparenz: Vorbehalte und Datenschutz
Die Argumente gegen Entgelttransparenz weisen in der Umfrage deutlich geringere Werte auf, was dafür spricht, dass die Unternehmen insgesamt zufrieden mit ihrem transparenten Vorgehen sind. Am häufigsten werden Vorbehalte im Management genannt, gefolgt von datenschutzrechtlichen Bedenken. Ebenfalls gegen die Einführung von Gehaltstransparenz spricht, dass der aktuelle Zustand bei der Höhe der Gehälter zu wenig einer Systematik folgt und die Ergebnisse darum nicht frei zugänglich gemacht werden sollen. Dass gar nichts dagegen spricht, gab jedes fünfte Unternehmen an.
New Work = New Pay?
Unsere Arbeitswelt ist im Umbruch und das nicht erst seit Corona. Vor allem in Start-Ups gelten heute andere Regeln als in traditionellen Großkonzernen. Sie haben den Begriff New Work geprägt, den es zwar bereits seit den 70er-Jahren gibt, der aber vor allem durch die Digitalisierung an Aktualität gewonnen hat. Im Grunde handelt es sich um einen Sammelbegriff für alternative Arbeitsmodelle, wobei sich auch New-Pay-Modelle herausgebildet haben, die ihren Fokus auf andere Kriterien legen als es in der klassischen Gehaltsbestimmung der Fall ist.
Aus dem System der Tariflöhne übernommen haben diese Modelle die Mitbestimmung, also das gemeinsame Aushandeln von Gehältern durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen auf ein Unternehmen bezogen, aber ohne involvierte Gewerkschaft. Einen solchen Prozess beschreibt das Startup Einhorn in seinem Unternehmensblog. Weitere Modelle finden sich in einem Artikel von Haufe. Gemeinsam haben diese New Pay-Modelle die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Bezahlung für alle Beteiligten.
Fazit
Bei Gehaltstransparenz geht es um Information: Wer weiß, wie viel andere verdienen, kann sich selbst besser in Bezug dazu setzen – im Guten wie im Schlechten. Ein Argument gegen das Offenlegen von Gehältern lautet: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Beschäftigte könnten unzufriedener mit ihrem Gehalt werden, wenn sie wissen, was die anderen verdienen.
Die Frage ist nur, ob die Lösung dann nicht eher sein sollte, einfach gerecht und nach offengelegten nachvollziehbaren Kriterien zu entlohnen, anstatt Gehälter geheim zu halten. Außerdem bietet ein durchdachtes Gehaltssystem im Recruiting die Möglichkeit, Bewerber:innen von Anfang an aufzuklären, welche Entwicklungen im Unternehmen möglich sind.
Durch Gehaltstransparenz entsteht mehr Augenhöhe zwischen Beschäftigten untereinander, aber auch zwischen Beschäftigten und Unternehmen – angesichts einer Entwicklung weg vom Arbeitgeber- hin zum Arbeitnehmermarkt ein logischer Schritt. Unternehmen können sich mit Gehaltsangaben in Stellenanzeigen positionieren und ihren Bewerber:innen und Mitarbeiter:innen eine Gesprächsgrundlage und zusätzliche Motivation liefern, was zur Mitarbeiterbindung beiträgt.
Und schlussendlich ist Gehaltstransparenz ein wichtiges Instrument gegen die ungleiche Entlohnung von Männern und Frauen: Wenn die Bezahlung bekannt ist, schließt sich die Lücke.
Methodik: Woher kommen unsere Daten und wie haben wir sie ausgewertet?
Für unsere Untersuchung zur Gehaltstransparenz haben wir vom 2. bis 8. August 258.247 Stellenanzeigen aus der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit analysiert. Je Branche haben wir mindestens 100 Stellenanzeigen, in der Regel aber zehn Prozent des Stellenvolumens als Datengrundlage gewählt.
Warum die Jobbörse der BA?
Alle Jobbörsen und Jobsuchmaschinen haben eins gemeinsam – sie lassen sich ungern scrapen. Web Scraping bezeichnet das gezielte Abgreifen von Websiteinhalten. Geschieht dies automatisiert, handelt es sich um einen Web Scraping Bot (Dazu sei gesagt, dass Webscraping rechtliche Grenzen hat und man sich vorab informieren sollte, ob man bereits im rechtlichen Graubereich handelt). Möchte man sich die Mühe sparen, einen eigenen Bot zu programmieren, stellen die Plattformen oftmals selbst Alternativen bereit. Jobbörsen wie Indeed bieten eigene API-Schnittstellen an. Allerdings bestehen Limitierungen, was die Ausgabe der Stellenanzeigen betrifft. Für eine großflächige und repräsentative Datenerhebung also der falsche Weg.
Anders sieht die Lage aus bei der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit. Die Branchen, die wir in diesem Artikel verwenden liegen als Filteroption bereits bei der Jobbörse vor. Gleichzeitig gewährt uns die Seite unbeschränkten Zugang zu allen aktuellen Anzeigen mit zusätzlichen Informationen in standardisiertem Format. Grund genug für uns, diesen Ansatz einem externen Analysetool vorzuziehen.
Allerdings: Repräsentativ für den gesamten Stellenmarkt in Deutschland sind die Daten nur bedingt, da einige Branchen überrepräsentiert sind und andere Jobs, vor allem die mit Mangelprofil, nicht unbedingt in der BA-Jobbörse landen. Trotzdem sind wir der Meinung, dass die Datenbasis ausreichend ist, um abzubilden, wie die Lage beim Thema Gehaltstransparenz aktuell auf dem Arbeitsmarkt aussieht.
Wie haben wir ermittelt, ob die Anzeigen eine Gehaltsangabe enthalten?
In einigen Stellenanzeigen sind die Gehaltsdaten mit einem Eintrag im dafür vorgesehenen Feld bereits angegeben. In diesem Fall ist unsere Arbeit schon erledigt und wir können einen Vermerkt anlegen (Gehaltsangabe: Ja). Andernfalls unterteilen wir den Text jeder Stellenanzeige in seine einzelnen Sätze und prüfen jeden Satz auf das Vorkommen des Wortes “Gehalt” (oder weiteren Synonymen, darunter “Tarif”) im Zusammenhang mit dem Wort “Euro” (ausgeschrieben oder als “€” Zeichen). Ist die Prüfbedingung erfüllt, enthält die Anzeige eine Gehaltsangabe, andernfalls nicht.
Datenerhebung und Methodik: Polichronis Muratidis