Es herrscht Bewegung auf dem deutschen Ausbildungsmarkt: Wie der aktuelle Berufsbildungsbericht zeigt, ist die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge 2023 gestiegen. Gleichzeitig blieben viele Stellen unbesetzt – ein weiteres Indiz dafür, dass der hiesige Arbeitsmarkt mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen hat.
Der Berufsbildungsbericht bezieht sich auf Daten des Ausbildungsjahrs 2022/2023. Der Bericht wird jedes Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlicht und gibt einen Überblick über die Situation am deutschen Ausbildungsmarkt. Ergänzt werden die Zahlen vom Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB).
Mehr Menschen entscheiden sich für eine Ausbildung
Eine erfreuliche Entwicklung ist bei der Anzahl der jungen Menschen zu verzeichnen, die sich im vergangenen Jahr für eine Ausbildung entschieden haben. 489.200 Ausbildungsverträge wurden abgeschlossen – das sind 3 Prozent mehr als im Vorjahr. Dazu zählen die duale Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung sowie schulische Berufsausbildungen und die Beamtenausbildung für den mittleren Dienst.
Auch die Übernahmequote hat sich weiter verbessert und lag mit 77 Prozent wieder auf Vor-Pandemie-Niveau. Diese Entwicklung ist auch auf der Seite der Ausbildungsstellen zu beobachten: Es gab 562.600, das entspricht einem Plus von 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit übertraf das Angebot zum zweiten Mal in Folge die Nachfrage der Jugendlichen. Dennoch bestand sowohl beim Angebot als auch bei der Nachfrage ein deutlicher Abstand zum Niveau von 2019.
„Mit Blick auf die zukünftige Fachkräftesicherung ist positiv hervorzuheben, dass 2023 die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze und erstmals seit Jahren auch wieder die Nachfrage der Jugendlichen nach dualer Ausbildung gestiegen ist“, erklärt BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser in einer Mitteilung. Entwarnung für die angespannte Lage könne er aber nicht geben: „Wir müssen weiterhin mehr junge Menschen für eine attraktive duale Berufsausbildung gewinnen. Fachkräfterekrutierung und -sicherung bleiben zentrale Aufgaben für die ganze Gesellschaft!“
Unbesetzte Stellen und erfolglose Bewerber:innen
Für junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz hat sich die Marktlage in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert – jedenfalls auf dem Papier. Es gibt mehr Ausbildungsstellen, als Interessent:innen: 2023 kamen 100 Bewerber:innen auf 109,1 Ausbildungsstellen. Für Betriebe und Behörden ist es hingegen zunehmend schwieriger, ihre Ausbildungsplätze zu vergeben. Die Zahl der unbesetzten Stellen ist auf 73.400 gestiegen, das entspricht 6,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 blieben sogar 38,2 Prozent mehr Stellen unbesetzt.
Gleichzeitig haben 26.400 Bewerber:innen keinen Ausbildungsplatz gefunden. Das sind 16,3 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass Betriebe und Behörden mit freien Ausbildungsplätzen und suchende Bewerber:innen schwieriger zueinandergefunden haben.
Die 2021 durchgeführte Bewerberbefragung des BIBB gibt Einblick in die Gründe für die Unterversorgung. So stimmten 46 Prozent der Befragten, die zu dem Zeitpunkt noch keinen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatten, der Aussage zu, eine Ausbildung machen zu wollen, aber noch keine Ausbildungsstelle gefunden zu haben. 20 Prozent glaubten, für den Wunschberuf einen höheren Schulabschluss zu benötigen. 17 Prozent hatten das Gefühl, von den Betrieben, bei denen sie sich beworben hatten, keine Chance bekommen zu haben. Gut zehn Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen strebten nach eigenen Angaben keine Berufsausbildung mehr an, weil sie studieren oder etwas anderes machen wollten.
Auch Befragungen innerhalb der Unternehmen zeigen, dass es für Ausbildungsstätten deutlich schwieriger geworden ist, passende Bewerber:innen zu finden. Laut eines Qualifizierungspanels des BIBB aus dem Jahr 2022 konnten 50 Prozent der befragten Betriebe ihre Ausbildungsstellen teilweise oder vollständig nicht besetzen. Große Unternehmen mit einer höheren Anzahl an Mitarbeiter:innen haben dabei tendenziell weniger Probleme.
Positive Entwicklungen in einzelnen Berufsgruppen
Im Vergleich zum Vorjahr haben sich einige Ausbildungsberufe gut entwickelt – andere nicht. Zu den Verlierern zählten 2023 unter anderem Raumausstatter:in (-19,1 Prozent), Sport- und Fitnesskaufmann:frau (-18,8 Prozent), Maurer:in (-14,0 Prozent) sowie Beton- und Stahlbetonbauer:in (-12,6 Prozent).
Nach den Flaute-Jahren der Pandemie nehmen Berufe in den Bereichen Gastronomie und Hotellerie wieder Fahrt auf. Der Ausbildungsberuf mit dem stärksten relativen Zuwachs im Jahr 2023 war „Fachkraft Küche“ mit einem Plus von 166,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Ausbildung zur Fachfrau bzw. zum Fachmann für Systemgastronomie verzeichnete 63,4 Prozent Zuwachs, die zur Fachkraft für Gastronomie 39,5 Prozent.
Im Bereich der schulischen Ausbildungen stellen die Gesundheits-, Sozial- und Bildungsberufe den größten Anteil. Zwischen 2005 und 2023 stieg die Zahl der vergebenen Ausbildungsplätze um 31,3 Prozent an. Diese Entwicklung lässt sich auf die Ausbildungsoffensive für Pflegeberufe zurückführen, die 2020 startete. Bund und Länder haben diverse Maßnahmen vereinbart, um attraktivere Ausbildungsbedingungen zu schaffen und die Zahl an Auszubildenden und Ausbildungsbetrieben zu steigern.
Mit Erfolg, wie es scheint: Nach vorläufigen Zahlen der integrierten Ausbildungsberichterstattung des BIBB haben 187.400 Menschen die Ausbildung in einem Gesundheits-, Sozial- oder Bildungsberuf angefangen, das sind 2 Prozent mehr als im Jahr davor. Knapp 60.000 Menschen entschieden sich für die Pflegeausbildung, rund 45.000 für die Ausbildung in einem Gesundheitsberuf wie Ergotherapeut:in oder Pflegeassistent:in. Der Bereich der Sozial- und Bildungsberufe, zu dem Erzieher:in, Kinderpfleger:in, Heilerziehungspfleger:in sowie Sozialassistent:in gehören, verzeichnete circa 76.000 Anmeldungen.
Recruiting-Probleme: Hier fehlen die meisten Auszubildenden
In einigen Berufen haben Betriebe seit Jahren Schwierigkeiten, Nachwuchs zu rekrutieren. Dazu zählen etwa Berufe in Lebensmittelhandwerk und -erzeugung, Hotel- und Gaststättenberufe, Bauberufe und Metallberufe. Umgekehrt sind einige Berufe besonders gefragt: Gemessen an der Bewerber-Stellen-Relation hatten junge Menschen in der Immobilienwirtschaft, Softwareentwicklung, im Gartenbau sowie in künstlerisch-kreativen Berufen geringe Chancen auf einen Ausbildungsplatz.
Obwohl im vergangenen Jahr bei etwa 42.000 der unbesetzten Ausbildungsstellen lediglich ein Hauptschulabschluss vorausgesetzt wurde, hatten rund 19.000 Bewerber:innen mit diesem Abschluss keinen Erfolg auf dem Ausbildungsmarkt. Die passende Qualifikation alleine reicht demnach nicht aus. Vielmehr müssen Betriebe und Bewerber:innen auch beruflich und geografisch matchen. „Eine bessere Zusammenführung von Angebot und Nachfrage kann demnach nur gelingen, wenn die Mobilitätsbereitschaft und berufliche Flexibilität von jungen Menschen – auch durch entsprechende Anreize – gesteigert werden“, heißt es dazu vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Auf diese Rekrutierungsstrategie setzen Ausbildungsbetriebe
Doch wie sollen diese Anreize aussehen? Und erreichen Ausbildungsbetriebe mit ihren Rekrutierungswegen überhaupt die richtigen Bewerber:innen? Leider nein, wie aktuelle Analysen des BIBB Betriebspanels zu Qualifizierung und Kompetenzentwicklung zeigen. Eine steigende Anzahl von Betrieben kann die angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzen, weil sie zu wenige Bewerbungen erhalten. Das lässt darauf schließen, dass die Informationen gar nicht bei der Zielgruppe ankommen.
75 Prozent der Betriebe setzen bei der Suche nach Auszubildenden auf die Meldung offener Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit. Außerdem beliebt sind Empfehlungen über Mitarbeiter:innen (63 Prozent), das Veröffentlichen der Stellenangebote auf der Unternehmens-Website (60 Prozent), sowie auf Plattformen von Kammern, Innungen und anderen Verbänden (59 Prozent). Soziale Medien werden inzwischen von 46 Prozent der Betriebe genutzt.
Nur jeder fünfte Betrieb legt den Schwerpunkt bei der Suche nach Bewerber:innen auf direkte Recruiting-Wege. 70 Prozent davon nutzen Praktika, um junge Menschen auf ihr Unternehmen aufmerksam zu machen. Virtuelle Veranstaltungsformate werden von 16 Prozent der Betriebe organisiert. Etwas mehr als jeder zehnte Betrieb beteiligt sich an solchen Veranstaltungen, wenn sie zum Beispiel von Schulen organisiert werden.
Azubi-Ghosting – ein neuer Trend?
Zusätzlich zu den Herausforderungen, keine geeigneten Auszubildenden gefunden oder keine Bewerbungen erhalten zu haben, beobachten Betriebe eine weitere Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt aktuell mit Sorge: Im Jahr 2022 wurden knapp 30 Prozent der begonnenen Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst, was einen neuen Höchstwert darstellt. Etwa die Hälfte der Jugendlichen schließt daraufhin allerdings erneut einen Ausbildungsvertrag ab. Analysen des BIBB zufolge sind Auszubildende eher bereit, einen Ausbildungsplatz zu verlassen und einen Wechsel anzustreben, wenn die Marktlage günstig für sie ist.
Härter trifft es Unternehmen, wenn Auszubildende trotz unterschriebenem Vertrag nicht erscheinen – hier spricht man vom sogenannten Azubi-Ghosting. Weil das Ausbildungsjahr zu diesem Zeitpunkt bereits angefangen hat, ist eine Neubesetzung dieser Stellen für Betriebe besonders herausfordernd. Eine Studie des Ludwig-Fröhler-Instituts zeigt einen klaren Zusammengang zwischen dem Beziehungsaufbau zu jungen Menschen und ihrer Tendenz, den Ausbildungsbetrieb zu „ghosten“: Je stärker der Beziehungsaufbau, desto weniger konnten sich die künftigen Auszubildenden vorstellen, die Stelle nicht anzutreten.
Vor diesem Hintergrund ist es für Unternehmen umso wichtiger, schon ab der Bewerbungsphase eine Beziehung zu künftigen Auszubildenden aufzubauen. Das gelingt etwa durch ein Praktikum vor Ausbildungsbeginn, ein Kennenlernen mit den künftigen Kolleg:innen und Vorgesetzten im Rahmen eines Welcome Day oder mit speziellen Azubi-Events, durch die Neuzugänge möglichst schnell ins Unternehmen integriert werden. Unternehmen sollten sich besonders um ihre (zukünftigen) Auszubildenden bemühen, ihnen das Onboarding erleichtern und die Beziehung zu ihnen pflegen – so lässt sich ein Abbruch der Ausbildung am ehesten verhindern.
Prognose: So entwickelt sich der Ausbildungsmarkt
Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes ist schwer zu prognostizieren, da sie von einer Vielzahl Faktoren beeinflusst wird. Dazu gehören unter anderem konjunkturelle, demografische und gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, ebenso wie gesellschaftlich-strukturelle Effekte (das grundlegende Interesse an dualen Berufsausbildungen oder die Präferenz zum Studium).
Die Zahl der Schulabgänger:innen unterliegt nach Schätzungen des BIBB in den nächsten Jahren einigen Schwankungen. 2024 wird sie weiter ansteigen, für 2025 ist hingegen mit einem Rückgang zu rechnen. Ein Tiefstand von knapp 750.000 Schulabsolvent:innen wird voraussichtlich 2026 erreicht, wenn einige Bundesländer zum neunjährigen Abitur zurückkehren. Bis 2030 steigen die Zahlen zwar wieder an – doch die Prognose zeigt, dass die Sicherung des künftigen Fachkräftebedarfs weiterhin eine Herausforderung darstellt.
Basierend auf den Ergebnissen von PROSIMA, dem Prognose- und Simulationsmodell des BIBB zur Einschätzung der Ausbildungsmarktlage, wird erwartet, dass das Ausbildungsangebot im Jahr 2024 von 562.600 auf 569.600 Stellen steigen könnte. Die Nachfrage wird voraussichtlich auf 524.200 steigen. Damit würden 100 Bewerber:innen auf 108,6 Ausbildungsstellen treffen – was eine leichte Verschlechterung für die Bewerber:innen-Seite bedeuten würde. Das Modell geht außerdem von einem weiteren Anstieg der unbesetzten Ausbildungsstellen aus.
Sollten die Schwierigkeiten der Betriebe bei der Besetzung ihrer Stellen jedoch stärker zunehmen oder das Interesse an Ausbildungsberufen sinken, könnte sich das negativ auf die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge auswirken. Derzeit geht das BIBB noch von einem leichten Anstieg auf 493.100 Verträge aus.
Den kompletten Berufsbildungsbericht gibt es hier zum kostenlosen Download.