Krankenhäuser suchen händeringend nach Personal und der Wettbewerb innerhalb der medizinischen Gesundheitsbranche ist hart. Gleichzeitig hinken Employer Branding und Digitalisierung im medizinischen Gesundheitsbereich weit hinterher. Martin Camphausen, Leiter Corporate & Employer Branding im Klinikverbund Südwest, spricht mit uns im Interview darüber, was die Branche bewegt, welche aktuellen Herausforderungen es gibt und wie er persönlich die Marktsituation, aber auch das Recruiting in der Gesundheitsbranche allgemein bewertet.
Hallo Martin! Du bist seit über einem Jahr als Leiter Corporate & Employer Branding im Klinikverbund Südwest tätig. Welche Vor- und Nachteile hat es aus Deiner Sicht, das Corporate Branding mit dem Employer Branding zu verknüpfen und in einer Position zu vereinen?
Zuerst war ich als Leiter Marketing und Employer Branding tätig. Für Corporate & Employer Branding bin ich erst seit Oktober 2020 zuständig. Wir haben meinem Bereich also ein Upgrade erteilt. Eigentlich geht es um den Ansatz der integrierten Kommunikation, der für die Orchestrierung des gesamten Auftritts einer Marke steht und ein für die Zielgruppen absolut konsistentes und kohärentes Erscheinungsbild im Blick hat. Klingt nachvollziehbar, ist aber oft ausschließlich auf die Arbeit der Unternehmenskommunikation bezogen. Die Wenigsten denken das über die Kommunikations- oder HR-Grenzen hinweg, weil sie selbst aus dem einen oder anderen Bereich kommen. Ich finde, das sollte wirklich für die gesamte Marke und ihre Untermarken gelten. HR hat sicher nach innen und außen ähnlich viele Markenkontaktpunkte wie Kommunikation.
Nachteile: Das ist ein extrem großes Feld und nur wenig WoMan-Power vorhanden. Zumal das Markenverständnis in Kliniken gen null tendiert. Oder man sieht ausschließlich Ärzte als Personenmarken und keine kompletten Organisationen oder Untereinheiten von ihr. Nur wenige Marken gehen im Krankenhauswesen einen anderen Weg, und die sind meist Private. Man muss also viel Aufklärung betreiben und sich gleichzeitig stark fokussieren.
Zu Deinem Aufgabenbereich gehören sowohl der strategische Auf- und Ausbau einer Arbeitgebermarke als auch die operative Umsetzung durch Personalmarketing und Recruiting. Wie seid Ihr in diesem Bereich strukturiert und wie muss man sich Deinen Arbeitsalltag vorstellen?
Da der Bereich völlig neu ist, geht es gerade noch viel um Strukturfindung und den Stellenwert für die Organisation. Das fünfköpfige Recruiting-Team gab es schon vorher und wir kannten uns gut. Jetzt haben wir die Fäden zusammengezogen. Dauerhaft gesehen geht es im HR-Teil darum, von der Post and Pray-Einbahnstraße zu einem Informations-Kreislaufmodell zu kommen. Will heißen: Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting arbeiten nicht aneinander vorbei, sondern ineinander verwoben.
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Wo liegen die besonderen Herausforderungen im Personalmarketing und Recruiting für den Klinikverbund Südwest? Lassen sich Parallelen zu Deiner Zeit bei den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken ziehen?
Der KVSW ist mit seinen sechs Standorten und 5.000 Mitarbeitern zwischen Stuttgart und dem Schwarzwald eher ländlich verwurzelt. Gegen die Metropolgebiete und Großstädte haben wir es vielfach schwer, insbesondere bei jüngeren Zielgruppen. Je nach Jahr stellen wir zwischen 400 und 500 Menschen ein und haben eine der größten Berufsschulen für Pflege in ganz Baden-Württemberg. Das ist schon eine Hausnummer. Das war bei den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken mit zwei Standorten mitten in Frankfurt, insgesamt 600 Mitarbeitern und weitaus weniger Einstellungen eine ganz andere Voraussetzung.
Schlechte Bezahlung, starke Arbeitsbelastung, stressiger Schichtdienst und hohe Fluktuation… was sind die größten Vorurteile, mit denen die Branche zu kämpfen hat? Oder sind es vielleicht gar keine Vorurteile? Wie geht Ihr mit solchen Bedenken in der Bewerber-Zielgruppe um?
Die Aufzählung trifft es ziemlich gut. An der einen Stelle mehr, an der anderen weniger. Schichtdienste beispielsweise zermürben den einen, der andere freut sich, wenn er an Wochentagen frei hat und seine Erledigungen machen kann. Zur Bezahlung möchte ich nur so viel sagen: Wenn ganz Deutschland wochenlang auf den Balkonen klatscht, wir aber nicht mal 1.500 Euro steuerfreie Einmalzahlungen für alle Pflegekräfte hinbekommen, während wir der Luftfahrt zweistellige Milliardenbeträge versprechen, dann läuft hier etwas gewaltig schief. Gleichzeitig gibt die Regierung für die #Ehrenpflegas-YouTube-Serie viele Steuergelder aus und befeuert mehr Vorurteile, als sie aus dem Weg zu räumen. In der Branche verstehst du dann die Welt nicht mehr. Verschwitzt mit zwölf Stunden Maske im Gesicht umso weniger.
Würdest Du Krankenhäuser und Kliniken als Gewinner oder Verlierer der aktuellen Marktsituation bezeichnen? Was verändert sich?
In der ersten Sekunde und mit Corona-Brille auf der Nase sehen wir wie Gewinner aus, weil gerade viele nur die stabilen Jobaussichten sehen und nicht die Herausforderung im späteren Berufsalltag. Dieses Jahr sind bei vielen Krankenhäusern die meisten Ausbildungsplätze belegt und die Abbruchquote ist bisher sehr gering. Aber bleiben die Azubis auch bis zum Ende der Ausbildung, wenn es in die Praxis geht? Ich möchte mich nicht darauf verlassen, dass das ohne Corona so stabil bleibt. Für Jobs im Krankenhaus ist nicht jeder gemacht, für solche am Patienten erst recht nicht. Dass wir uns langfristig zu einem Arbeitgebermarkt entwickeln, halte ich außerdem für ein Märchen all derer, die gerne wieder in ihre Schlafsessel versinken möchten und sich Stapel mit 400 Print-Bewerbungen zurückwünschen.
Ärzte und Pflegekräfte sind am Arbeitsmarkt nach wie vor hart umkämpft. Wo siehst Du Euren Wettbewerbsvorteil in der Personalgewinnung?
Da wir noch keine Employer Brand haben, haben wir auch noch keine EVP (Employee Value Proposition). Sie wäre der passende Nukleus für Employer Telling und den Wettbewerbsvorteil aus Mitarbeitersicht. Durch Corona mussten wir den Start zum Aufbau der Employer Brand schieben. Da wir sie noch nicht haben, müssen wir uns mit Bordmitteln auf der Benefit-Ebene behelfen.
Welche Rolle spielen Daten für den Erfolg von Arbeitgebermarke und Personalmarketing? Wie nutzt Du Daten für Euren Recruiting-Erfolg?
Daten sind das A und O. Wir sind mit dem Start des neuen Bereichs auch auf den Datenzug aufgesprungen und ich habe im Team die Parole „Was nicht messbar ist, existiert ab sofort nicht mehr“ ausgegeben. Und zwar bitte am Ende in echten Conversions und nicht in „So viele Menschen haben deine Stellenanzeige X besucht“. Bis wir am Ziel sind, wird es aber noch einige Entwicklungszeit brauchen.
Wenn Dein Budget verdreifacht würde, in welche Maßnahmen zur Mitarbeitergewinnung würdest Du das Geld investieren und wo würdest Du das Geld auf gar keinen Fall ausgeben?
Ich würde das Geld in die vollständige Digitalisierung von HR und in unser Tooling stecken und dann von Grund auf eine Lehrbuch-Employer Brand aufsetzen. Auf gar keinen Fall würde ich viel Geld in Print stecken.
Wo, glaubst Du, hat die Gesundheitsbranche noch einiges nachzuholen? Welche Defizite siehst Du allgemein, wenn Du auf das Personalmarketing und Employer Branding in Kliniken und Krankenhäusern blickst?
In erster Linie müssten mal alle aufhören über den IST-Zustand zu jammern und stattdessen ihre Energie in Verbesserungen stecken. Wenn es zu wenige Fachkräfte am Markt gibt, muss ich doch der erste sein, der eine Employer Brand als starken Magneten aufsetzt. Seit 15 Jahren beschreiben alle das Damoklesschwert, bewegen sich bis auf sehr wenige Positivbeispiele aber keinen Meter. Das muss aufhören. Und: Zu viel Print, zu viel (Selbst-)Verwaltung, wenig bis kein Know-how zur Digitalisierung von HR, Datenbasiertheit etc..
Welche drei Adjektive beschreiben das aktuelle Personalmarketing & Recruiting in der Gesundheitsbranche für Dich am besten?
Einfallslos, altbacken, amateurhaft.
Dein Recruiting-Barometer für die Gesundheitsbranche insgesamt: 1 (wir hängen ordentlich hinterher) – 5 (wir sind Vorreiter und Best Practice)
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