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Die Pharmaindustrie leidet unter akutem Fachkräftemangel, vor allem in Forschung, Produktion, IT und Unternehmenssteuerung. Gründe sind der Wettbewerb mit anderen Branchen, eine alternde Belegschaft und ineffiziente Recruiting-Prozesse. Lösungen: flexiblere Arbeitsmodelle, besseres Employer Branding, modernes Recruiting (z. B. Programmatic Job Advertising) und Active Sourcing. Ziel: offene Stellen schneller und effektiver besetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu sichern.
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Die Pharmaindustrie in Zahlen
Einmal im Jahr beleuchten wir in unserer Arbeitsmarktstudie alle übergeordneten Trends, die die Fachkräfteverfügbarkeit der kommenden Jahre prägen werden. Da der Platz darin nicht ausreicht, um auf einzelne Branchen einzugehen, machen wir daraus jetzt eine Blogserie. Den Anfang macht die pharmazeutische Industrie. Um sie auszuleuchten, haben wir uns durch verschiedene Studien gearbeitet.
Die Pharmaindustrie umfasst etwa 600 Unternehmen mit 123.000 Mitarbeitern. Laut dem IW-Gutachten 2024 gibt es rund 2.640 unbesetzte Stellen, von denen rund jede vierte Vakanz nicht besetzt werden konnte.
Das Gutachten betrachtet die Recruitingbedarfe dabei aus regionaler und fachlicher Perspektive.
Bedeutsame Regional-Cluster sind:
- Rheinschiene
- Rhein-Main-Gebiet
- das Hauptstadtcluster Berlin
- das Biotech-Cluster Oberbayern
- das Cluster entlang der Schweizer Grenze
Die bedeutendsten fachliche Jobcluster der Pharmaindustrie sind:
- Forschung und Entwicklung (FuE), hier steht die Entwicklung neuer Medikamente im Fokus
- Produktion für die Herstellung pharmazeutischer Produkte sowie Arzneimitteln
- Handel und Vertrieb inklusive Spedition und Logistik
- Unternehmenssteuerung inklusive Finance und Betriebswirtschaft sowie
- IT an verschiedenen Schnittstellen entlang der pharmazeutischen Wertschöpfungskette
Die Fachkräftelücke in den einzelnen Berufsfeldern der Pharmaindustrie
Wichtig für die Interpretation der folgenden Daten: das Institut der Wirtschaft betrachtet die Fachkräftelücke rein rechnerisch und bundesweit. Ein passender Arbeitsloser aus dem norddeutschen Buxtehude wird somit auch einer Stelle in Bayern als verfügbar zugeordnet, ohne dass seine persönliche Umzugsbereitschaft abgefragt wird. Diese etwas praxisferne Betrachtung macht deutlich, dass die reale Fachkräftelücke in der Pharmaindustrie noch deutlich größer ist als hier ausgewiesen.
Bild: Entwicklung der Fachkräftelücke in der Pharmaindustrie
- Forschung und Entwicklung: 15 Prozent der offenen forschungsbezogenen Stellen der Pharmaindustrie im Jahr 2023 waren an Apotheker und Pharmazeuten gerichtet. Der Wettbewerb ist stark: Über 80 Prozent der Apotheker arbeiten im Einzelhandel, die Weiterbildung von Quereinsteigern ist aufgrund der starken Spezialisierung schwierig.
- Produktion: 356 der insgesamt 1.084 offenen Stellen konnten nicht besetzt werden. Ein Drittel blieb also unbesetzt.
- Handel und Vertrieb: 2023 blieb rechnerisch mehr als jede fünfte handelsbezogene offene Stelle frei. Die Besetzung von Fachkräften der Lagerwirtschaft und akademisch qualifizierten Speditions- und Logistikkaufleuten machen hier – entgegen dem Trend der Vorjahre – inzwischen auch Bauchschmerzen.
- Unternehmenssteuerung: 136 offenen Stellen im Jahr 2023. Rund jede vierte offene Stelle im Berufsfeld „Unternehmenssteuerung“ in pharmazeutischen Unternehmen konnte im Jahr 2023 rechnerisch nicht mit entsprechend qualifizierten Arbeitslosen gedeckt werden, insbesondere im kaufmännischen Bereich. Ein Lichtblick fürs Recruiting: Gerade in den kaufmännischen Berufen ist eine höhere Substituierbarkeit unter dem unterschiedlich ausgebildeten Personal aus anderen Branchen zu vermuten.
- IT: Von den hier knapp 95 offenen Stellen im Jahr 2023 konnten 64 rechnerisch nicht mit passend qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden. Die Pharma-Industrie kränkelt somit beim Fachkräftemangel im IT-Bereich genau wie andere Branchen.
Um die Problemlage besser zu verstehen und Lösungsansätze für Pharmaunternehmen ableiten zu können, ist ein tieferer Blick in die spezifischen Berufsfelder und ihre Mangelberufe hilfreich:
Forschung und Entwicklung
Zu den Stellen, die hier nicht besetzt werden konnten, zählen konkret
- Apotheker sowie Pharmazeuten auf Expertenniveau
- Medizinische Fachangestellte als Fachkräfte
Bild: Fachkräftelücke in der “Forschung und Entwicklung” der Pharmaindustrie
Produktion
Fachkräfte werden in der Pharmaindustrie vor allem für
• Elektrische Betriebstechnik
• Mechatronik
• Maschinenbau- und Betriebstechnik
• Chemie- und Pharmatechnik gesucht, letztere zusätzlich noch auf Experten-Niveau.
Fachkräftelücke in der “Produktion” der Pharmaindustrie
Handel und Vertrieb
Der Bereich “Handel und Vertrieb” umfasst auch die Lagerwirtschaft. Wie die Grafik zeigt, stehen Pharma-Recruiter seit 2021 auch hier vor der Herausforderung, passende Mitarbeiter mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen zu finden, insbesondere für:
- Lagerwirtschaft (Fachkraft)
- Einkauf (Spezialist)
- Speditions- und Logistikkaufleute (Experte sowie Fachkraft)
Fachkräftelücke in der “Handel und Vertrieb” der Pharmaindustrie
Unternehmenssteuerung
Im Berufsfeld ‘Unternehmenssteuerung’ herrscht Mangel in den Jobfamilien:
- Kaufmännische und technische Betriebswirtschaft (Experte)
- Buchhaltung (Spezialist)
- Controlling (Experte)
- Technische Produktionsplanung (Experte) oder
- Kaufmännische und technische Betriebswirtschaft (Fachkraft)
Fachkräftelücke in der “Unternehmenssteuerung” der Pharmaindustrie
IT
Auch in der IT steht die Pharmaindustrie im direkten Wettbewerb mit anderen Branchen, die ebenfalls IT-Experten suchen und die gleiche Bewerberzielgruppe haben. So konnten – wie in anderen Branchen auch – diese pharmarelevanten IT- Positionen nicht besetzt werden:
- Informatik (Experte)
- Wirtschaftsinformatik (Experte) oder
- IT-Systemadministration (Spezialist)
Fachkräftelücke in der “IT” der Pharmaindustrie
Mangelberufe: Diese 15 Berufsbilder verantworten 75 Prozent der Fachkräftelücke
Nachdem wir einen vollständigen Überblick über die Mangelberufe der pharmarelevanten Berufsfelder gewonnen haben, liefert das IW-Gutachten eine weitere zentrale Erkenntnis:
Die Fachkräftelücke in der pharmazeutischen Industrie betrifft im Kern vor allem 15 Jobfamilien, die zusammen drei Viertel des gesamten Fachkräftemangels der Branche ausmachen!
Bild: TOP-15-Engpassberufe in der Pharmaindustrie
Die Pharmaindustrie im Branchen-Wettbewerb
Überraschenderweise sind nur zwei der Mangel-Jobfamilien pharmaspezifisch, die Fachkräfte und Experten der Chemie- und Pharmatechnik sowie mit Abstrichen die ApothekerInnen und PharmazeutInnen.
Die anderen zwölf Berufsgruppen kommen in vielen Industriezweigen vor. Die Stellenüberhangsquoten (= Anteil branchenübergreifend nicht zu besetzender Stellen) zeigen, dass die Marktlage hier meist noch herausfordernder ist. Der Wettbewerb mit anderen Wirtschaftszweigen trägt also wesentlich zur Fachkräfteproblematik der Pharmaindustrie bei.
Die folgende Grafik zeigt anhand der Daten von 2021, das die Problematik der Stellenüberhänge schon länger existiert und wie sie sich auf die Regionalcluster und Berufsgruppen verteilt:
Bild: Regionale Stellenüberhangsquoten in pharmarelevanten Berufsfeldern
Hinzu kommt, dass laut einem Positionspapier des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) nahezu ein Viertel der Beschäftigten in pharmarelevanten Berufen älter als 55 Jahre ist, so dass sich die Lage mit deren Austritt aus dem Berufsleben in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird.
Lösungsansätze auf strategischer und operativer Ebene
Wie kann die Pharmaindustrie auf diese Herausforderungen reagieren?
Auf strategischer Ebene ist die bessere Ausschöpfung vorhandener Fachkräftepotenziale ein naheliegender Hebel. Gemessen an der Arbeitszeit liegt das größte Beschäftigungspotenzial bei Frauen und Älteren. Um diese „stille Reserve“ zu aktivieren empfiehlt der vfa folgende Maßnahmen:
– Rückführung in vollzeitnahe Teilzeit nach der Elternzeit
– Flexibilisierung von Schichtmodellen und Arbeitszeiten
– Schaffung von Eltern- und Pflegezeitmodelle
– Gesunderhaltung und Prävention
– Weiterbildungsangebote und lebenslanges Lernen
Da diese Ansätze außerhalb des Einflussbereichs der Talent Acquisition Organisation liegen, möchten wir sie an dieser Stelle nicht vertiefen.
Dasselbe gilt auch für die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland, die insbesondere in den F&E-Bereichen bereits üblich ist, deren Ausdehnung auf Fachkräfte aber regelmäßig an den bekannten politischen Rahmenbedingungen scheitert. Unternehmen, die es individuell oder über Dienstleister schaffen, hier Lösungen zu erarbeiten, sind natürlich im Vorteil.
Stattdessen möchten wir darauf eingehen, wie Talent Acquisition Teams sich im Rahmen ihres Aufgabengebiets besser für den Wettbewerb aufstellen können.
Employer Branding
Übergeordnet wäre es lohnend die Pharmaindustrie als Ganzes stärker als Arbeitgeber in die Köpfe der Bewerber zu bringen. Dazu könnte man auf Verbandsebene eine Kampagne ähnlich der „Das Handwerk“-Kampagne des Deutschen Handwerkskammertages anstoßen und sie online und offline in den Cluster-Regionen ausspielen.
Da entsprechende Kooperationen nicht leicht zu koordinieren sind und Verbandskampagnen erfahrungsgemäß auch bei Zustandekommen oft nicht mit den nötigen Mitteln ausgestattet sind, um nachhaltige Wirkung zu erzielen, lässt sich dieser Ansatz natürlich auch im Rahmen der eigenen Employer Branding Aktivitäten umsetzen.
Zu bieten hat die Pharmaindustrie Vieles, was am Arbeitsmarkt auf Gegenliebe stößt:
– Geringere Konjunkturanfälligkeit und damit hohe Jobsicherheit
– Hohes Gehaltsniveau
– Sinnhaftigkeit/ Purpose
Die Haupt-Wettbewerbsbranchen bei den pharmarelevanten Berufen sind tariflich zwar auch sehr gut aufgestellt, wirken angesichts des aktuellen Transformationsgeschehens aber weniger überzeugend als in der Vergangenheit. Diese Chance sollten Pharmaunternehmen nicht versäumen.
Personalmarketing
Gutes Personalmarketing kann die eigene Wettbewerbsposition schnell und nachhaltig verbessern. Insbesondere, wenn neben den üblichen Jobbörsen auch die State-of-the-Art Methoden im Personalmarketing-Mix enthalten sind:
Programmatic Job Advertising stellt sicher, dass die eigenen Stellen wirklich den ganzen aktiven Arbeitsmarkt abdecken. Aufgrund der Cost-per-Click-Abrechnung ist die Methode außerdem kosteneffizienter als Jobbörsen.
Performance (Personal-)Marketing auf Google und Bing erreicht sowohl aktive als auch passiv Stellensuchende und holt viele Kandidaten direkt am Einstiegspunkt ihrer Arbeitgebersuche ab.
Social Media & Banner-Kampagnen auf Joblevel sprechen passiv Wechselwillige an und wirken gleichzeitig im Sinne des oben empfohlenen Employer Brandings.
Recruiting
Im Recruiting sollte sichergestellt sein, dass die Basis stimmt und es nicht zu ungewollten Bewerbungsabbrüchen kommt. Laut unserer letzten Candidate Experience Analyse der Chemie- und Pharmaindustrie boten lediglich 41 Prozent der Unternehmen ein mobiloptimiertes Bewerbungsformular an. In 45 Prozent der Fälle bestand für die Bewerbung zusätzlich ein Login-Zwang. Im E-Commerce werden solche Setups „Conversion-Killer“ genannt 😉.
In vielen Fällen dürfte auch die interne Bewerbungsprozessdauer die Erwartungen der Kandidaten deutlich überschreiten und zu Bewerberverlusten führen. Insbesondere im Hinblick auf die IT- und Automatisierungstechnikberufe der Mangelliste sind viele Wettbewerber hier deutlich besser aufgestellt.
Recruiting-Teams, die das ändern wollen, sollten stärker als Recruiting Business Partner auftreten und ihre Hiring Manager durch datenbasierte Beratung von besserer Mitarbeit überzeugen. Denn ein klarer und schneller Prozess ermöglicht erst erfolgreiches…
Active Sourcing
Die Liste der Mangelberufe steht geradezu exemplarisch für den Einsatz von Active Sourcing. Angesichts der Herausforderungen sollte Active Sourcing nicht nur als Methode, sondern auch als Rolle verstanden werden und mit entsprechenden Kapazitäten ausgestattet werden. Unsere Benchmarkstudie Recruiting Strukturen zeigt, dass hier noch viel Luft nach oben besteht und finanzielle Effizienzen zu heben sind.
Die Implementierung der vorgeschlagenen Methoden mag aufwendig erscheinen. Muss sie aber nicht sein. Denn unser Jobspreader Recruiting Co-Pilot bietet Recruiting-Teams eine einfache Lösung für strategische Talent Acquisition aus einem Guss: Daten für TA-Strategieplanung und Recruiting Business Partnering, ein Recruiting-Eskalationsmodell aus Programmatic Job Adertising, Performance Personalmarketing und semiautomatisiertem Active Sourcing. So ist für jede Herausforderung die richtige Methode zur Hand. Eine Jobspreader-Demo bekommt ihr hier.
Mit oder ohne Jobspreader, helfen euch die vorgeschlagenen Maßnahmen dabei das inländische Potential zur Besetzung von Stellen voll auszuschöpfen. Andernfalls bleiben die Stellen vor allem eines: Weiterhin unbesetzt. Happy Recruiting!
Folgende Studien sind in diesen Artikel eingeflossen:
“Fachkräftemangel: Hemmschuh für den Pharmastandort Deutschland” – Institut der Wirtschaft Köln (IW) aus Oktober 2024.
“Fachkräftesicherung in der Pharmaindustrie: Lösungen für eine Schlüsselindustrie” – Positionspaper “vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen” 2024.
“Pharmaindustrie im Wandel” – Institut der Wirtschaft Köln (IW) 2022.