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Wachstum hoch drei – Tech-Recruiting im Hypergrowth

Wann seid ihr in eurem Arbeitsalltag jemals in der Situation gewesen, zwei oder drei gute Kandidat:innen für eine Stelle zur Auswahl zu haben und zu sagen: „Ach, ich nehm‘ sie einfach alle!“ Noch nie? Dann arbeitet ihr vermutlich nicht in einem Unternehmen, das sich gerade im sogenannten Hypergrowth befindet. Im Rahmen unseres Fachtags für IT-Recruiting haben wir mit Christian Portig gesprochen, er ist Teamlead für Tech-Recruiting im Hypergrowth-Umfeld und verrät, wo dabei die größten Herausforderungen liegen. Ein kleiner Hinweis dazu: Es handelt sich um eine Transkript-Abschrift, eine gewisse Sprachlichkeit im Ton ist also beabsichtigt.

Christian, Du arbeitest bei einem Unternehmen mit dem etwas sperrigen Namen Just Eat Takeaway.com. Berichte doch mal, wer Ihr seid und wie Du dort gelandet bist.

In Deutschland kennt Ihr uns wahrscheinlich eher als Lieferando – das ist der lokale Markenname. Ich selbst arbeite jetzt seit fast zwei Jahren hier in der Nähe von Amsterdam und leite ein Team, das sich auf unser Headquarter in Amsterdam und unser Techhub in Enschede fokussiert. Dort liegt der Schwerpunkt dann wiederum auf Engineering und Product Hiring.

Insgesamt bin ich jetzt seit ungefähr zehn Jahren im Bereich Talent Acquisition unterwegs. In den letzten vier bis fünf Jahren als Teamlead oder Manager mit einem starken Fokus auf Tech- und Product-Rollen. Vorher war ich bei der P3-Group tätig und habe dort das Thema Sourcing und das dazugehörige Team intern aufgebaut.

Ihr seid gerade in einer starken Wachstumsphase, die in der Tech-Szene gerne als „Hypergrowth“ bezeichnet wird. Was bedeutet denn Hypergrowth in Zahlen?

Auf der theoretischen Seite spricht man ab einem jährlichen Wachstum von 40 Prozent aufwärts von Hypergrowth. Alles was darunter ist, wird bis 20 Prozent als Rapid growth bezeichnet. Ganz konkret bedeutet es für uns, dass wir uns jedes Jahr im Hinblick auf den Headcount mindestens verdoppeln oder verdreifachen. Ende diesen Jahres werden wir 2.000 Engineers und Product Mitarbeiter sein. Das ist eine Zahl, die ich mir selbst auch manchmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Um es etwas zu relativieren: Es handelt sich dabei um globale Zahlen aus aktuell 24 Ländern und wir zählen auch Mergers damit hinein. Heißt also, wir sind nicht nur organisch auf diese Größe gewachsen.

Welche Auswirkungen hat denn dieses Wachstum auf Eure Prozesse?

Das ist zuallererst Chaos für die gesamte Organisation. Man muss klarerweise sagen, dass man diesen Zustand nicht für immer aufrechterhalten kann. Es funktioniert eine gewisse Zeit lang, wenn wirklich alle an einem Strang ziehen und es auch wirklich gelebt wird. Jeder muss sagen: Okay, das ist unser Fokus und wir müssen dieses Jahr verdoppeln.

Diese Order kommt dann auch top-down vom CTO an alle Hiring Manager, dass ein Großteil der Zeit für Recruiting und Onboarding und alles, was damit einhergeht aufgewendet wird.

Wie schätzt du den Einfluss von Hypergrowth im Hinblick auf die Candidate Experience ein?Tech-Recruiting Zitat Christian PortigProzessseitig ist es ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt. Grundsätzlich wissen wir schon im Voraus, dass wir bestimmte Skills oder Erfahrungen rekrutieren müssen. Das heißt, dass die Kandidaten solche Situationen und Aufgaben im Idealfall bereits in ihrer Karriere erlebt haben und damit umgehen können. Das darf niemand sein, der in seinem Arbeitsumfeld ganz viel Stabilität benötigt. Intern nennen wir das „Changereadiness“.

Wer zu uns kommt, muss bereit sein, wirklich mit diesen häufig stattfindenden und sehr schnellen Veränderungen umzugehen. Wenn wir diesen Prozess gut begleitet und durchgeführt haben, wissen die Kollegen und Kolleginnen dann bereits in etwa, was im Onboarding auf sie zukommt: Es wird kein regulärer 9 to 5 Job mit perfektem Onboarding und einem Manager, der Dich erwartet. Vielleicht ist der Manager schon gar nicht mehr da oder hat schon wieder eine andere Rolle. Das ist natürlich eine große Herausforderung für die Unternehmenskultur. […] Und die Candidate Experience ist uns sehr wichtig ist. Trotzdem oder auch gerade weil wir so große Massen bewegen.

Was bedeuten denn diese Massen in Profilen oder Clustern für den Tech-Bereich? In welchen Schwerpunkten stellt ihr ein?

Tatsächlich haben wir in der Regel ein bestimmtes Schema, das sich immer wieder wiederholt. Ein einfaches Beispiel: Wir hiren einen Produktmanager. Dann wissen wir, dass auf der Engineering-Seite ein Team von fünf Leuten steht, die ebenfalls eingestellt werden müssen. Dieses Team setzt sich immer gleich zusammen, aus UX/UI, QA und Developern. Ohne einen Developer kann ein Produktmanager nicht arbeiten, andersherum funktioniert es genauso wenig. So wiederholt sich das immer und immer wieder. Das Workflowplanning und das Capacityplanning richten sich danach aus, wie die Teams aufgestellt sein sollen.

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Die meisten Recruiter:innen bekommen schon Kopfschmerzen, wenn sie nur eine oder zwei dieser Stellen besetzen müssen. Wie könnt Ihr denn nachts eigentlich noch schlafen bei diesen Mengen?

Das ist tatsächlich Teil dieser Kultur und wir müssen in der Realität immer damit rechnen, dass man selbst ein Quartal für abgeschlossen hält und dann vom Head of Product nochmal die Anfrage kommt, ein Team zu verdoppeln.

Für mich als Teamlead bedeutet dieses Wissen, dass ich mein Team nicht ständig auf maximale Kapazität auslaste und uns damit einen gewissen Spielraum nach oben hin freihalte. In den Spitzen der Auslastung haben wir aber auch auf Recruitment Process Outsourcing (RPO), Freelancer und Agenturunterstützung zurückgegriffen. Mein Team kann deshalb noch gut schlafen, weil mir und uns die Work-Life-Balance wichtig ist und wir darauf achten, dass sie nicht verloren geht. Abgesehen davon brauchen wir alle auch unseren Schlaf, denn tatsächlich befinden wir uns in einem Marathon, nicht in einem Sprint: Im Idealfall geht dieses Wachstum noch zwei bis drei Jahre so weiter.

Wirklich unglaublich finde ich zu sehen, wie sehr sich die Recruiter für die Hiring Manager reinhängen und mit welcher Hingabe sie teilweise arbeiten. Das geht zum Teil weit über Recruiting hinaus, Richtung Onboarding oder Teamaufstellungen. Es liegt dann in den Händen der erfahreneren Recruitern oder mir als Teamlead, in solchen Situationen auch Grenzen zu ziehen oder gemeinsam an der Priorisierung von Aufgaben zu arbeiten.

Du hast die Fachabteilungen vorhin bereits erwähnt. Wie positioniert und organisiert Ihr Euch in der Zusammenarbeit?

Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit relativ frei, auch wenn es natürlich Instrumente und Hebel gibt, und die Teams auch dazu angehalten sind, diese zu nutzen. Je besser die Zusammenarbeit zwischen Talent Acquisition und Business ist, desto erfolgreicher bist du im Recruiting – das steht für mich außer Frage.Tech-Recruiting Zitat Christian PortigAber ganz konkret: Empfehlungen sind ein sehr wichtiges Instrument, um im Marketgrowth überhaupt zu überleben. Neben dem Sourcing schalten wir auch gezielt Kampagnen und Ads. Wir haben bei uns eine sehr gute Partnerschaft mit dem Business und bekommen auch ohne aktive Nachfrage häufig Empfehlungen für mögliche Kandidaten. Darüber hinaus haben wir auch gemeinsame Sourcing-Sessions, in denen wir den Hiring-Managern „Shortlists“ von Kandidaten erstellen, die wir bisher noch nicht angesprochen haben.

Nach dem Check durch den Hiring-Manager beginnen wir dann erst mit dem Engagement der ausgewählten Kandidaten. Und je besser diese Ausrichtung aufeinander grundsätzlich funktioniert, umso schneller können wir agieren. Und umso enger wir zusammenarbeiten, Fachbereiche und Business beraten und wirklichen Mehrwert liefern können, desto besser ist es für beide Seiten: Wir können dann dem Business Zeit zurückgeben und die können sich wieder auf das fokussieren, was sie eigentlich machen sollten, nämlich unsere App zu verbessern, unsere Logistik-Services zu optimieren und unsere Datenbanken zu verbessern. Das ist das Ziel.

Wie behält man denn den Überblick, wenn man in solchen Größenordnungen sourced wie Ihr?

Gute Frage! Wir sind aktuell dabei, ein CRM zu implementieren, um unsere Prozesse noch sauberer nachvollziehen zu können und beispielsweise auch Zweitplatzierte im Rennen um eine Stelle zu einem späteren Zeitpunkt nochmal ansprechen zu können. Hier liegt aber wiederum auch ein ganz klarer Vorteil des Hypergrowth: In der Regel haben wir eh zwei oder drei Positionen, die wir besetzen müssen. Konkret heißt das, dass wir uns manchmal gar nicht zwischen zwei sehr guten Kandidaten entscheiden müssen, sondern zwei einstellen, wenn zwei da sind oder sogar drei, bei denen es wehtun würde abzusagen.

Was ist dein Learning aus den letzten zwei Jahren und dieser Phase im Unternehmen? Gibt es etwas, was Du besonders hervorheben kannst?

Da gibt es auf jeden Fall einige Dinge, die ich gelernt und sicher auch schon deutlich gemacht habe: Hypergrowth ist etwas ganz spezielles und nicht vergleichbar mit anderen Unternehmen oder Lebenszyklen von Unternehmen. Ein großer Unterschied ist auf jeden Fall, dass personell wirklich Ressourcen da sind, die beim Recruiting unterstützen und dass auch das Budget keine ganz so vordergründige Rolle spielt. Auch (schriftliche) Planung wird nicht mehr so ernst genommen, wenn man sehr agil sein muss. Das sind klarerweise die größten Unterschiede zu allem, was man sonst so erlebt.

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